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Auf der Anklagebank. Die gelernte Einzelhandelskauffrau ist am Montag wegen Totschlags angeklagt worden.

© Eva Schmid

Prozess um getötetes Baby: Weggeworfen wie Müll

Am Landgericht startete der Prozess gegen eine 35-Jährige, die ihr Neugeborenes in Glindow alleine zur Welt brachte und anschließend erstickte. Ihr Geständnis wirft eine zentrale Frage auf

Von Eva Schmid

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Potsdam/Werder (Havel) - Zerknüllt, zerfleddert, das Papier schon längst zerrissen und zerschnäuzt. Ein Taschentuch bereit für den Mülleimer. Trotzdem war es für Kathleen B. am gestrigen Montag im Potsdamer Landgericht der einzige Halt. Fest umklammerte die Mutter auf der Anklagebank das Stück Papier mit ihren zarten Fingern. Knetete es, zerrieb es – fast bis zur Unkenntlichkeit.

Neun Monate nach dem Fund einer Babyleiche auf einem Kompostierer in Glindow hat die 35-jährige Kathleen B. aus Brandenburg/Havel zum Prozessauftakt ihre Tat mit Tränen in den Augen gestanden. Sie hat ihr Kind getötet. Bei ihrer Vernehmung vor dem Landgericht offenbarte sie auch die grausigen Details der Tat: B. hat demnach ihren Sohn am 19. Oktober vergangenen Jahres im Badezimmer auf der Toilette alleine zur Welt gebracht. Nach den ersten Atemzügen des Kindes habe sie Toilettenpapier auf dessen Mund gedrückt. Anschließend wickelte sie das Baby in ein Handtuch, verschloss das Bündel mit einer Klebefolie und steckte es in eine Plastiktüte.

Mit leiser, stockender Stimme ließ Kathleen B. im Gerichtssaal kaum ein Detail aus. Das Bündel, sagt die angeklagte Mutter, habe sie in die Waschmaschine gelegt, „um es aus dem Blickfeld zu haben“. Danach habe sie das Bad gesäubert. Etwa sieben Stunden später legte sie die Leiche in einen Kompostierer auf dem Grundstück ihres Wohnhauses. Zwischenzeitlich habe sie mit der Mutter ihres Lebensgefährten im Nachbarhaus Kaffee getrunken. Die Oma des verstorbenen Jungen war es, die drei Tage später die Babyleiche fand und die Polizei rief.

Immer wieder wischte sich Kathleen B. bei ihren Aussagen mit ihrem Taschentuch Tränen aus den Augen. Zweimal musste die Vernehmung der Mutter, die bereits einen sechs Jahre alten Sohn hat, unterbrochen werden. Für ihre Tat hat Kathleen B. keine Erklärung: „Ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe“, sagte sie dem Richter. „Ich wusste gar nicht, was ich da überhaupt gemacht habe.“

Ihre Schwangerschaft habe sie von Anfang an verdrängt, ihren Zustand monatelang geheim gehalten. Sie machte keinen Schwangerschaftstest und ging nie zum Arzt. „Ich habe ganz normal weitergelebt.“ Nur zweimal sei sie auf ihren Babybauch angesprochen worden, einmal habe die Mutter ihres Partners und einmal er selbst danach gefragt. Sie verneinte. Weitere Fragen seien nicht gekommen. Auch Arbeitskollegen, Eltern und Erzieher aus der Kita ihres Sohnes hätten sie nicht auf ihre körperlichen Veränderungen angesprochen.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau Totschlag vor. Der Strafrahmen liegt dafür zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die 35-Jährige voll schuldfähig ist. Der Rechtsanwalt der Angeklagten will versuchen, den Strafrahmen auf höchstens zehn Jahre zu senken. „Es war keine geplante Tat, die Lebensumstände waren nicht so, als hätte sie ihre Schwangerschaft offenbaren können oder wollen“, so Verteidiger Karsten Beckmann.

Wie die junge Mutter ihren Alltag gestaltete und welche Umstände zur Tat geführt haben könnten, wollte Richter Frank Tiemann zum Prozessauftakt wissen. Ihn interessierte auch die Beziehung zu ihrem Partner. Vorsichtig fragte er nach, Kathleen B. antwortete immer.

Vor zwölf Jahren hat die gelernte Einzelhandelskauffrau auf der Arbeit ihren Partner kennengelernt. „Ich arbeitete damals bei Real in der Warenannahme, er bei einem Paketdienst.“ Nach anderthalb Jahren zog sie zu ihm nach Glindow auf das Familiengrundstück. Eine eigene Wohnung sei für ihn nicht infrage gekommen. Er wollte bei seiner Familie bleiben, berichtete die Angeklagte.

Seit der Tat hat ihr Ex-Partner und seine Familie den Kontakt zu ihr abgebrochen. Das Kind lebt derzeit beim Vater. Ihren Sohn sehe sie zweimal im Monat, berichtete Kathleen B. vor Gericht. Das Paar streitet sich um das Sorgerecht für ihr Kind. Kathleen B. hat ein Umgangsrecht. Ihr Ex-Partner stand laut Behörden nicht im Verdacht, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Der Mann tritt als Nebenkläger auf. Er wird neben weiteren Familienangehörigen noch als Zeuge geladen.

Laut Kathleen B. lebte das Paar vor der Tat in der Glindower Rosa-Luxemburg-Straße in einem spärlich ausgebauten, ehemaligen Schuppen. Zusammen bewohnten sie ein 15 Quadratmeter großes Zimmer, in dem Flachbau gab es sonst nur noch eine Küche. „Das Bad mussten wir im Haus seiner Mutter nutzen“, so die Angeklagte. Auf dem Familiengrundstück wohnte neben der Mutter und derem Lebensgefährten auch die Großmutter sowie Tante und Onkel ihres Partners. Auch nach der Geburt ihres ersten Sohnes lebte die junge Familie weiter auf engstem Raum. Erst nach und nach baute das Paar den Schuppen selbst aus. Tatsächlich lebten die beiden seit sieben Jahren auf einer Baustelle, so ihr Anwalt Beckmann.

Kathleen B. zeichnete selbst ein von Geldsorgen, beruflichen und familiären Problemen geprägtes Leben von sich. Die finanzielle Lage des Paares war angespannt: Urlaube konnte es sich nicht leisten, Geburtstagsgeschenke gab es keine. Die Angeklagte hangelte sich von einem Job zum anderen. Sie arbeitete auch am Wochenende und bis spät in die Nacht. Sie habe sich um ihren Sohn gekümmert, den Haushalt in Schuss gehalten und eingekauft. Die damalige Beziehung beschreibt sie als harmonisch. Ein zweites Kind sei aber nie Thema gewesen.

„Wieso sind sie dann noch mal schwanger geworden?“, wollte der Richter wissen. Auch darauf hatte die Angeklagte keine Antwort. Sie habe nicht verhütet – wieso? Das könne sie nicht erklären. Ihr Freund dachte, sie würde die Pille nehmen. „Er hätte sich über das Kind bestimmt gefreut“, sagt sie. Kathleen B. stehen Tränen in den Augen. Mit ihrem Taschentuch wischt sie sie fort.

Das Gericht hat noch vier Verhandlungstage geplant. Ein Urteil könnte Ende Juli gesprochen werden. Der Prozess soll am Donnerstag fortgesetzt werden.(mit dpa)

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