Potsdam-Mittelmark: Wenig Zeit für die Toten
Gestorben wird später und die Beerdigung soll nicht viel kosten. Auf den Friedhöfen herrscht deshalb Leerstand
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Region Teltow - Am Ende bleibt ein Haufen Steine. Grabsteine, achtlos aufgetürmt, einer über dem anderen am Rande des Evangelischen Waldfriedhofs in Kleinmachnow. Inschriften, die einst das Leben der Toten in Namen und Zahlen fassten, sind abgeplatzt. Der Granit verwittert. „Wollen Sie einen mitnehmen?“, fragt Manuela Blumenthal. Es könnten auch zwei, drei oder zwanzig sein. Egal. „Für die Steine ist das hier die letzte Station vor dem Brecher“, sagt die Friedhofsverwalterin und zuckt mit den Schultern.
Dort, wo die Steine herkommen, gibt es noch mehr – aber immer seltener werden sie gebraucht. Wo einst eine Tafel auf dem Grab gemeinsam mit Blumen, Kerzen und Buchsbaumhecken an die Toten erinnerte, bleibt auf den Friedhöfen in der Region immer öfter eine Lücke. Das Geschäft mit dem Tod, es brummt nicht mehr. Gestorben wird später und sparsamer beerdigt. Immer mehr Menschen wollen nach ihrem Tod in die Urne und dann unter die Wiese oder einen Baum. Das macht einer ganzen Branche – vom Bestatter über den Steinmetz bis hin zu den Friedhofsverwaltungen – zu schaffen.
„Die Menschen brauchen das Grab nicht mehr als solches“, erklärt Manuela Blumenthal. Sie sagen, dass sie ihre Toten im Herzen tragen. Das stellt die 43-Jährige vor ein Problem: Über 5000 Grabstellen verfügt die 6,5 Hektar große Friedhofsanlage mitten im Kleinmachnower Siedlungsgebiet zwischen hochgewachsenen Kiefern. Mehr als ein Drittel der Gräber steht leer. So viele wie noch nie in der 77-jährigen Geschichte des Waldfriedhofs. Tendenz steigend, sagt Blumenthal. Die Menschen werden älter, die Gesellschaft schnelllebiger. „Die Bestattungskultur in Deutschland hat sich verändert.“
Diese Veränderung hat auch Olaf Ihlefeldt, Verwalter des zweitgrößten Friedhofs in Deutschland, dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf, zu spüren bekommen. Die Veränderung heißt Leerstand. Obwohl die Bestattungszahlen auf dem Kirchhof in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind, ist der Platzbedarf gesunken. 120 000 Tote haben auf dem 206 Hektar großen Gelände ein Grab gefunden, es könnten noch mal so viele sein, sagt Ihlefeldt. Rund 800 Beisetzungen zählte der Friedhof im vergangenen Jahr – darunter nur 32 Sargbestattungen. Die letzte Ruhe finden viele Menschen heute platzsparend in der Urne, aber auch dann nicht in einem Einzelgrab. Der Trend geht zum Baum: 330 Bestattungen im vergangenen Jahr. Weitere 300 Tote wurden in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt. „Dadurch sind unsere Kapazitäten immens gestiegen“, sagt Ihlefeldt. Er nennt das die große Last des Friedhofs. Denn auch wenn einzelne Gräber leer stehen, müssen die langen Wege gepflegt und gesichert werden.
Was auf dem naturbelassenen riesigen Stahnsdorfer Südwestkirchhof kaum auffällt, ist für Manuela Blumenthal und ihren Waldfriedhof eine Katastrophe. Ganze Grabreihen sind verwaist, werden von Efeu, Rasen und Unkraut überwuchert. Seit die anonyme Wiese auf dem Waldfriedhof vor 22 Jahren eröffnet wurde, sind hier über 600 Urnen vergraben worden. Ein Fluch für die Friedhofsverwalterin, nicht nur, weil das kaum Geld bringt. Es macht auch Arbeit.
Denn so sehr Angehörige ihre Toten auch im Herzen tragen, viele vermissten früher oder später den Bezug zur Grabstelle. Mit Blumen, Kerzen und Kuscheltieren auf der Wiese versuchen sie an ihre Toten zu erinnern. Mit Tippelschritten oder mithilfe von Satellitendaten haben sie sich die exakte Grabstelle gemerkt. Den Friedhofspflegern stehen die Devotionalien dann im Weg. Bei ohnehin schon knapp kalkulierten Preisen von einmalig rund 500 Euro für 20 Jahre treibt das die Arbeitskosten in die Höhe. Mit Schildern versucht Blumenthal die Trauernden deshalb davon abzuhalten.
„Unsere Kunden sind nicht die Toten, sondern die Familien, die ihre Toten bestatten lassen“, sagt Olaf Ihlefeldt. Und die achten heute in erster Linie auf den Preis. Danach wird der Friedhof gewählt. Dann das Areal auf dem Totenacker und die Bestattungsform. „Wir haben sehr niedrige Gebührensätze“, sagt Ihlefeldt. Für den Friedhof rechnet sich eine Bestattung im Gemeinschaftsgrab über die Laufzeit von 20 Jahren kaum. „Dabei ahnen viele gar nicht, was es an Möglichkeiten gibt.“ Da sei der Friedhof flexibel: Wunschstelle auf dem Gelände? Kein Problem! Freie Platzwahl gilt sogar für alte Mausoleen. Kostenpunkt rund 250 000 Euro.
Im Großen wie im Kleinen, die Probleme sind gleich, sagt Helmut Kulla. Der Güterfelder Pfarrer fährt sich mit seinen Händen durch den ergrauten Fünf-Tage-Bart. Vor sich auf dem Tisch hat er einen Plan von seinem kleinen Kirchhof zu liegen: 158 Grabstellen auf 2677 Quadratmetern rund um die Güterfelder Kirche. An einem Friedhof kann man nichts verdienen, sagt Kulla. „Aber er muss sich selber tragen.“ Doch das wird gerade in den Dörfern schwierig. „Wir haben für unsere Toten keine Zeit mehr“, sagt Kulla und redet von einem wahnsinnigen Kulturabbruch. In seinem Dorf gibt es kaum noch Gewerbe, das Leben ist mit den letzten Handwerkern und Tieren ausgezogen. Die Menschen kommen nur noch zum Schlafen. Die Jugend sucht ihr Glück in der Ferne und selbst die Alten, die eigentlichen Träger der Friedhofskultur, ziehen anderenorts in Pflege- und Altenheime. „Es ist die Moderne, die Abschied nimmt vom alten Lebensmodell.“
Deshalb zeigt Helmut Kulla auf seinen Plan: Baumbestattungen, Gemeinschaftsgräber, pflegeleichte, liegende Grabsteine nur von Rasen umgeben. Das soll es alles bald in Güterfelde geben. Auch auf dem Dorf muss der Pfarrer als Friedhofsverwalter reagieren. Urne statt Sarg, das war nur der Anfang. Der Pfarrer hat damit seine Probleme. „Ich kann mich noch gut an eine Feuerbestattung erinnern“, sagt Kulla, als er seinen Plan wieder zusammenrollt. Als die Urne im Grab war und sich die Trauergäste darum versammelten, habe einer gemurmelt: „Die haben ihn ein Leben lang nicht kleingekriegt.“ Auf dem Friedhof schon.
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