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Potsdam-Mittelmark: Wenn Angsthasen zu Entdeckern werden
Evangelische Jugendhilfe Geltow startet Erlebnistour durchs Havelland. Neues Lehrkonzept kommt gut an
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Schwielowsee - 120 Kilometer mit dem Fahrrad, zwei Tage draußen an der frischen Luft – und übernachtet wird im Zelt: Am Donnerstag starten neun Schützlinge der Evangelischen Jugendhilfe auf dem Franzensberg in Geltow zu einer zweitägigen Erlebnistour durchs Havelland. Für sie wird der Ausflug etwas Besonderes – immerhin kommen sie zumeist aus zerrütteten Verhältnissen und hatten bislang kaum die Gelegenheit für solche kleinen Abenteuer. „Die Kids lernen ihre Grenzen zu erfahren, können sich selbst erleben und dadurch innerlich wachsen, Selbstvertrauen gewinnen“, sagt Jörn Kurth. Er ist als Betreuer für die Jugendlichen verantwortlich und setzt seit ungefähr einem Jahr ein neues pädagogisches Konzept auf dem Franzensberg um.
Es geht darum, Kindern auch abseits von Unterricht und Betreuungsgesprächen Werte und Fähigkeiten zu vermitteln. Auf dem Franzensberg betreibt die Evangelische Jugendhilfe eine Förder- und eine Oberschule, außerdem leben hier Jugendliche in drei Wohngruppen. Alle haben gravierende Auffälligkeiten und Entwicklungsstörungen im emotionalen, kognitiven Bereich sowie im Sozialverhalten. Die meisten haben Schulprobleme, manche haben die Schule gänzlich verweigert. „Unser Ziel ist die Selbstständigkeit der Kinder. Wir wollen sie in die Lage versetzen, eine Ausbildung beginnen zu können und ein eigenständiges Leben zu führen“, betont die Vize-Leiterin der Einrichtung, Sabine Großmann.
Sozialpädagoge Kurth hat schon einige Touren für seine Schützlinge organisiert, ob im Kanu, auf dem Rad oder zu Fuß. „Es ist toll, zu sehen, wie ausgepowert die Teilnehmer sind. Sie finden es anstrengend, aber wenn sie es geschafft haben sind sie stolz und glücklich“, so seine Erfahrung. Wenn die jungen Klienten in die Einrichtung kommen, können sie häufig nicht schwimmen, geschweige denn Kanu oder Rad fahren, haben Angst vor der Dunkelheit, das alles muss erst gelernt werden.
„Das Paddeln fand ich sehr anstrengend, weil ich sehr schwach bin und es sehr schwer für mich war“, berichtet zum Beispiel die 15-jährige Nina von einer Bootstour im Sommer auf der Müritz. Mit Marie, einer weiteren Jugendlichen, die sie eigentlich nicht leiden konnte, habe sie sich Boot und Zelt teilen müssen. „Dadurch, dass wir viel zusammen machen mussten, sind wir uns näher gekommen und verstehen uns jetzt richtig super.“ Und die 70 Kilometer Strecke zu Wasser haben beide gemeinsam gepackt.
Der Fall zeigt, was sich mit dem erlebnispädagogischen Ansatz erreichen lässt. „Die meisten fragen dann bald, wenn es wieder losgeht“, so Jörn Kurth. Wöchentlich verbringt er 15 Stunden mit seinen Schützlingen. Touren, die bisher nur in den Ferien möglich waren, werden jetzt wöchentlich angeboten. „Wobei ein Ausflug erst beendet ist, wenn die Fahrräder und Zelte sauber und ordentlich verstaut sind, erst dann enden die Pflichten, auch die Equipmentpflege muss gelernt sein.“
Unterstützt werden die Erlebnistouren von Sponsoren. Pünktlich zur Radtour nach Ketzin gab es jetzt eine Spende der Allianzstiftung: Die Michendorfer Versicherungsvertreter Matthias und Peter Schade übergaben der Geltower Einrichtung gestern eine Outdoorausrüstung mit wasserdichten Zelten, dicken Isomatten und warme Schlafsäcken sowie Kochgeschirr. Cornelia Stege, Leiterin der Stiftung „Dialog“, zieht solche solche Spenden immer wieder für den guten Zweck an Land. „Nur so werden Stubenhocker zu Abenteurern, Streithähne zu Helfern, Angsthasen zu Entdeckern und Einzelkämpfer zu Mannschaftspielern“, sagt sie im Hinblick auf die Erlebnispädagogik. Andreas Koska
Andreas Koska
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