KulTOUR: Werder liebt sein neues Theater
Comédie Soleil ist in der Stadt angekommen / Seit November vergangenen Jahres wurden sieben Produktionen gestemmt
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Werder (Havel) - Mit einem Vorbestellsystem wäre das garantiert nicht passiert: Theaterleiter Michael Klemm hatte seinen Schauspielern wegen zu großer Hitze die „Kleine Sommerrevue“ am Samstagabend abgesagt, dann musste er, als einsamer Haushüter, gleich 25 Besucher wieder nach Hause schicken. Über vierzig Grad Hitze – das sind keine zumutbaren Bedingungen, weder für das Publikum noch für die vielgeprüfte Comédie Soleil in Werder.
Freilich: Wie es noch gar nicht so lange her ist, dass ein besonders scharfsichtiger Zuschauer Staub an den Stuhlbeinen erspähte, worauf tags darauf zwei ältere Werderaner mit dem Argument „Wir lassen uns doch unser Theater nicht vermiesen!“ freiwillig zum Putzen kamen. So ist es auch jetzt: Als Reaktion auf die Sommerhitze und ausgefallene Veranstaltungen ist längst Jemand unterwegs, einen Sponsor für die künftige Klima-Anlage zu finden. Unaufgefordert, damit sie nur spielen können.
Das wird auch, denn Werder liebt sein Theater – und das Theater, ganz ohne Uz, liebt Werder. Sieben Produktionen hat das kleine Ensemble seit November im ehemaligen „Trend“-Kaufhaus bereits gestemmt. Ein ziemlicher Kraftaufwand für das etwa zwölfköpfige Ensemble – Schauspieler, die vom Beruf nicht lassen können, aber ihr Brot zum Leben anderswo verdienen müssen. Wenn man sie braucht, sind sie da, freut sich der „Herr Intendant“, so wird Klemm auf Werders Straßen gelegentlich angesprochen. Sollte sich gar noch ein Theatertechniker im Ehrenamt als Dreizehnter finden, wäre das noch besser.
In Summa sei man, nach den schweren Monaten in Potsdam, nun „angekommen“, habe im Rathaus und sonst auch viele hilfreiche Hände gefunden, Verständnis, und ein offenes Herz für das künstlerische Anliegen des Hauses. Es gibt jetzt den Förderverein, einen theaterverliebten Vermieter, ein kleines Stammpublikum, getreue Mitstreiter, und also jede Menge Pläne, auch für Open Air.
Michael Klemm hat viele Begabungen. Als Musiker möchte er ein eigenes „Revue-Musical“ auf die Bühne bringen, sein Kindertheater „Rappelkopf“ startet im Herbst, sonst gibt es Überlegungen, gewisse Autoren für das Haus zu interessieren. Er selbst schreibt ja auch Stück um Stück. Sein jüngstes, „Die Prophezeiung“, handelt vom Codex illuminati, denn wie Goethes Faust möchte er wissen, was hinter den Spiegeln der Welt steckt. Er habe keine Zeit mehr, „Theatergesetze zu brechen“, viel zu experimentieren. Wie der italienische Regisseur Giorgio Strehler suche er vielmehr ein „menschliches Theater“. Dieses Wort hat Klemm der Comédie sogar zum Leitspruch gegeben.
„Aufklärung“ ist ihm nicht wichtig, Wertebewahrung schon, er will Frei- und Spielräume schaffen, weil diese in einer „mehr und mehr gleichgeschalteten Konzerngesellschaft“ immer notwendiger seien – und „die kleinen Theater“ legitimieren. So wenig Kunst ein Sprachrohr der Mächtigen sein dürfe, so werde er sich sein eigenes Leben „von keinem Politiker mehr vermiesen lassen“, lautet sein Credo. Um das Fass voll zu machen, hat der Musiker, Schauspieler und Regisseur nun auch noch einen Roman geschrieben – Veröffentlichung demnächst.
Die „Comédie Soleil“ erstrebt eigentlich nur das Normalste der Welt: Sie stellt infrage, fordert heraus, regt zum Denken an, schafft eine unabhängige Plattform für die Öffentlichkeit. Jetzt wird man die wahnsinnige Premierendichte der ersten Monate und den En-suite-Rhythmus etwas ändern, auch ein Vorbestellsystem wird erdacht. Alles, damit nun richtig durchgestartet werden kann.
Gerold Paul
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