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Potsdam-Mittelmark: Werke der Trauer mit viel Seele

Schwielowsee - Gestern wie heute denken die Menschen, Ostern sei so, wie es ihnen die klassische Musik rund um Johann Sebastian Bach samt zugehöriger Theologie darstellt und überliefert hat: Der erniedrigte, gefolterte, leidende Jesus wird bei seiner Passion von Mensch zu Mensch gesehen. Endet sie nun am Kreuz oder mit der Wiederkehr Christi am dritten Tag?

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Schwielowsee - Gestern wie heute denken die Menschen, Ostern sei so, wie es ihnen die klassische Musik rund um Johann Sebastian Bach samt zugehöriger Theologie darstellt und überliefert hat: Der erniedrigte, gefolterte, leidende Jesus wird bei seiner Passion von Mensch zu Mensch gesehen. Endet sie nun am Kreuz oder mit der Wiederkehr Christi am dritten Tag? Das zweite Konzert der Caputher Musiken 2013 verzichtete am Samstag zwar nicht auf die herkömmliche Theologie, dafür aber auf den übermächtigen Vater Bach. Stattdessen präsentierte das für seine Qualität berühmte Wolf-Ferrari-Streichquartett aus Berlin unter dem Titel „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ eine Abfolge von Passions- und Meditationsmusik der etwas anderen Art, die sich mehr aus traditionell jüdischer oder auch weltlicher Sicht mit dem Thema Trauer zu speisen schien, als mit dem Sterben und Auferstehen des Christus.

Das Konzert zur Vesperstunde im Gemeindezentrum war gut besucht, der Beifall nach etwa achtzig Minuten eher gedämpft als brausend. Bevor die Programmfolge von Edvard Grieg bis Carl Nielsen en suite mit viel Herz und Geist gespielt wurde, gab Protogeiger Wolfram Thorau eine verbale Übersicht über die Idee dieses Konzerts und seiner Teile, sie griff fürwahr über den Karfreitag hinweg. Dann wurde das Saal-Licht gelöscht, wurden Kerzen angezündet, das musikalische Ereignis begann mit derselben Intensität und Dringlichkeit, wie man dieses Quartett in Caputh schon mehrere Male erlebte.

Lili Nguyen-Huu spielte die zweite Violine, Yuval Hed die schöne Viola, Uwe Hirth-Schmidt das zum Trauern unentbehrliche Violoncello. Feinarbeit, filigranst! So unterschiedlich die Menschen ihrer Betrübnis Ausdruck verleihen, so auch die Musik. Felix Blumenfeld zum Beispiel bevorzugt im Andante seiner „Sarabande“ choralartige Unisono-Strukturen von geringer Amplitude, ein Mann der eher leisen Töne. Carl Goldmark hingegen flocht in sein Streichquartett op. 8 zigeunerhafte Sequenzen, klar, er war ja auch ein gebürtiger Ungar.

Weiterhin brachte man Werke von Wilhelm Kienzl, Jakob Koppel Sander und anderen zu Gehör. Warum das feinfühlige Ensemble aber ausgerechnet Beethovens Streichquartett Nr. 7. op. 59, Nr. 1 ins Zentrum der Programmfolge setzte, die variationsreiche Klage um den verstorbenen Bruder, war aus musikalischer Sicht zu verstehen, kaum aber unter dem biblischen Titel. Ausgerechnet der Bonner!

Josef Haydns Melancholia im Adagio des Streichquartetts C-Dur op. 54, Nr. 2, Carl Nielsons unvollendeter Gram „An der Bahre eines jungen (befreundeten) Künstlers“, Edvard Griegs dräuend-expressive Trauerarbeit im g-moll-Quartett op. 27 – ach, was war das alles schon gegen Alfred Schnittke, den heimlichen Fürsten des Abends, mit dem gigantischen Agiato aus seinem Streichquartett Nummer zwei! Hier findet das Trauern überhaupt keinen Halt, kurze, wilde Takte von erheblichem Umfang, jedes Instrument klagt für sich, hier strudelte ein atonales Beinahe-Chaos, toll, toll, toll! Sollte es so nicht im Inneren der hilflosen Zuschauer vor dem Kreuz Christi ausgesehen haben, folgt die Melancholie, die Stille, nicht erst auf den Rumor tief drinnen? Werke der Trauer also aus drei Jahrhunderten, weltlich und geistlich gemischt, sehr kompakt und diesmal auch mit viel Seele gegeben. Gerold Paul

Gerold Paul

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