Potsdam-Mittelmark: Wie Steffen Reiche seinen Wahlkreis verlor
Bringen die neuen Oberschulen etwas für den Schulerhalt auf dem Land? Eine Veranstaltung der Märkischen Akademie in Seddiner See machte wenig Hoffnung
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Bringen die neuen Oberschulen etwas für den Schulerhalt auf dem Land? Eine Veranstaltung der Märkischen Akademie in Seddiner See machte wenig Hoffnung Seddiner See - Die Nachbardörfer Niedergörsdorf und Werbig kämpfen seit Jahren um ihre Gesamtschulen. Als es im Frühjahr wieder knapp für die „Siebente“ wurde, machte man Bildungsminister Reiche einen Vorschlag: Eine Schule unter zwei Dächern. Lehrer und Schüler, die pendeln – bis hin zur Kursverteilung und zum Schülerverkehr war alles kostenneutral vorbereitet. Die Lehrer waren enthusiastisch. Das Problem der Mindestklassenfrequenzen von 20 Schülern in zwei Klassen war gelöst, so Niedergörsdorfs Bürgermeister Wilfried Rauhut. Und auch das benachbarte Jüterbog hätte genügend Gesamtschüler gehabt. Doch Steffen Reiche lehnte ab – keine Siebenten in den Dörfern seines Wahlkreises. Am Mittwoch lud die „Märkische Akademie Ländlicher Raum“ zu einer öffentlichen Gesprächsrunde zur Zukunft der Schule auf dem Lande ein, Rauhut mit Anhang war natürlich dabei. Die Botschaften, die Gerhard Büttner aus dem Referat Schulentwicklungsplanung des Bildungsministeriums mit in die Heimvolkshochschule am Seddiner See brachte, gefielen überhaupt nicht. Was geringere Klassenstärken, befristete Übergangslösungen für den Geburtenknick, Druck auf das Anwahlverhalten oder neue Modelle für die Landschule angeht, hat auch die neue Regierung wenig zu bieten. Gesamtschule und Realschule unter dem Dach der Oberschule, so lautet vielmehr ihr Zukunftskonzept. Bringt es über vermiedene Konkurrenzen hinaus etwas für den Schulerhalt? Bei der Durchschnittsfrequenz von je 27 Schülern in mindestens zwei Klassen soll es ab 2005 auch im neuen Oberschulmodell bleiben, eröffnete Büttner. Als Mindestzahl gilt weiter die magische 20, in den Grundzentren (in Mittelmark: Beelitz, Lehnin, Brück und Treuenbrietzen) dürfen es ausnahmsweise 15 sein. Ein kleines Zugeständnis macht die Oberschule an die Realschulen, die im „kooperativen Modell“ weiter im Klassenverband unterrichten dürfen: Da sie künftig zwei statt einen Abschluss anzubieten haben, dürfen die Klassen für die Fachoberschulreife (Realschulabschluss) und für die erweiterte Berufsbildungsreife (Hauptschulabschluss) unterschiedlich groß sein. „Eine Aufteilung von 25 zu 15 wäre machbar“, so Büttner. Für Gesamtschulen bringt das neue „integrative Modell“ der Oberschule vor allem eine inhaltliche Änderung: Eines der beiden naturwissenschaftlichen Fächer wird nicht mehr in Kursen differenziert. Die Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe werden laut Büttner eher ein Auslaufmodell – die Gymnasien haben freie Kapazitäten. Wer nach der Oberschule Abi machen will, werde in Zukunft wohl im Oberstufenzentrum landen. Die Abiturstufe der Lehrausbildungsstätten soll gestärkt werden. Der andere Weg lautet, nach der Grundschule zum Gymnasium, nach Klasse zwölf die Hochschulreife. Büttner beeindruckte die etwa 40 angereisten Pädagogen und Kommunalpolitiker mit Zahlen, gerade wegen des Geburtenknicks soll ja künftig kein Platz mehr für drei Schulmodelle sein. Die Talsohle hat die Sekundarstufe I auch jetzt noch nicht erreicht: Mit 14000 Schülern gibt es erst im Jahr 2006/2007 den Tiefpunkt für die Siebenten im Land. Auch danach geht die Sonne am Bildungshimmel nicht wieder auf: Im Ministerium geht man davon aus, dass sich der Sek-I-Jahrgang ab 2010 auf 17000 bis 18000 einpendeln wird – noch 1994 gab es mehr als doppelt so viele Siebtklässler. In den Grundschulen ist die Zukunft bereits Gegenwart – zum Leidwesen auch der Lehrer. Ziel der Landesregierung sei es, Schulen an zentralen Orten zu konzentrieren, sagte Büttner. Nebeneffekt: In den nächsten sechs Jahren werden nochmal knapp 7000 Lehrerstellen abgebaut. Das Ministerium hat 130 Millionen Euro beiseite gelegt, um mit Vorruhestand, Umschulung oder Umzug in ein anderes Bundesland zu locken. Kleinere Klassen wären für den Chef der Märkischen Akademie, Klaus Benthin, ein Ausweg. Das Festhalten an der 27 – hat es pädagogische oder finanzielle Gründe, fragte er? Büttner blieb vage: Eine Kommission des Landesregierung – Büttner war ihr Geschäftsführer – sei zum Ergebnis gekommen, dass die Qualität des Unterrichts mit weniger als 20 Schülern leide. Fachlehrer müssten an zwei bis drei Schulen unterrichten, an Lehranstalten mit fünf Lehrern würde kein Austausch stattfinden. „Die Identität geht verloren.“ Kopfschütteln und Zähneknirschen bei den Gästen. Ja, kleinere Klassen seien auch nicht bezahlbar, räumte Büttner schließlich ein. Die Frage, ob Brandenburg weiter Bildungssparer und Pisa-Schlusslicht bleiben wolle, konnte ein Verwalter freilich nicht beantworten. Er machte dafür kein Hehl daraus, dass gerade die Peripherie von künftigen Schulschließungen betroffen sei. Vier der fünf noch zu erwartenden 142 „Auflösungen“ im Sek-I-Bereich (davon 28 Gymnasien) finden außerhalb des Speckgürtels um Potsdam und Berlin statt. Ein ganzer Berg von Fragen blieb da offen. Werden die Nebeneffekte eines solchen Vorgehens betrachtet?: die kommunalen Mittel, die bereits in Schulsanierungen geflossen sind; die Wegzüge wegen mangelhafter Infrastruktur; die aufs Spiel gesetzte Nähe von Lehren, Eltern, Schülern und Ansprechpartnern; die Sportvereine, deren Nachwuchs wegbricht; der ganze Bereich des örtliche Lebens, der sich in der Schule abspielt? „Unsere Kinder sitzen jetzt zum Teil täglich über 60 Minuten im Schulbus“, sagte der Schulleiter der Gesamtschule Werbig, Uwe Gottwald. Sieht so die Zukunft des Brandenburger Bildungswesens aus? „Eine komplexe Betrachtung findet nicht in dem Maße statt, wie wir es uns wünschen – nicht im finanziellen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich“, resümierte Akademie-Chef Benthin. Den Orten werde mit der Schule zwar nicht das Herz ausgerissen, „aber ein Lungenflügel ist es doch. Wir müssen uns nicht über integrierte ländliche Entwicklung unterhalten, wenn die Schule nach den Arbeitsplätzen nicht die wichtigste Rolle spielt.“ Keine Bildungsreform sei es, was da aus Potsdam komme, sondern ein mit der Oberschule ummanteltes Schulschließungskonzept, hieß es unter den Gästen. „Nach Lösungen wird nicht gesucht“, sagte Bürgermeister Rauhut. „Anregungen von unten zählen nicht.“ Wie schon bei Minister Reiche. Dass der den Modellversuch aus Werbig/ Niedergörsdorf damals abgelehnt hat, ist für Rauhut der Grund, dass er beim Landtagswahlkampf keinen Fuß in seinen Wahlkreis bekommen konnte und das Direktmandat zwischen Luckenwalde und Jüterbog Kornelia Wehlan von der PDS zufiel. Noch hofft Rauhut auf „den Neuen“.
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