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KulTOUR: „Wir fangen eigentlich erst an!“

Die Autorin Jana Hensel las in Kleinmachnow aus ihrem Buch „Achtung Zone“

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Kleinmachnow - Einen Tag nach der Maueröffnung hielt Willy Brandt auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses seine richtungsweisende Rede zur deutschen Einheit. Von ihr wird heute nur noch zitiert, dass da nun zusammenwachse, was auch zusammengehört. Stimmt nicht!, meint die Autorin Jana Hensel in „Achtung Zone“, ihrem dritten Buch zu Problemen der Einheit Deutschlands. Der Satz wurde nachträglich ins Manuskript geschmuggelt. So gesehen, habe die Wiedervereinigung eigentlich mit einer Lüge begonnen, folgenschwer insofern, als da vorausgesetzt wurde, was heute noch nicht möglich ist, Einigkeit in Recht und Freiheit.

Vierzig trennende Jahre, so argumentiert sie in diesem leisen Essay-Buch, hätten bis 1989 nicht nur unterschiedliche Identitäten und Geschichten geformt. Die Wiedervereinigung schreibt sie weiter, bis die Mauerfall-Generation aussterben wird. Die Erinnerungen an dieses Ereignis aber verblassen. Sie selbst war damals dreizehn, was könnte sie Späteren Authentisches erzählen? „Ich lebe im Jetzt und Heute, und genau deswegen ertrage ich die fortschreitende Trivialisierung des Herbstes 1989 so schlecht“, meint die Autorin von „Zonenkinder“ (2002).

Hier meldet sich Generation Eins nach dem Mauerfall zu Wort, welche mit den Memoiren ihrer Eltern nicht mehr viel anfangen kann, oder ihnen nicht traut. „Das, was danach passierte, spielt kaum eine Rolle. Fast wie Ostalgie. Jedenfalls keine Gegenwart, nirgends.“ Ihr Buch setzt sich die Aufgabe, solche Geschichten tatsächlich „weiterzuschreiben“.

Letzten Mittwoch las Jana Hensel im Bürgersaal zu Kleinmachnow vor überwiegend gesetzterem Publikum aus diesem Buch, eine Gemeinschaftsveranstaltung mit der Natura-Buchhandlung vor Ort. Es erzählt auf ganz persönliche Weise, wie sie ihren Erinnerungen nicht mehr vertraut, wie sie in den Biographien der anderen ihre Identität sucht und bewahren will, jenseits des Mauerfalls. Besonders in dem Abschnitt über das Verhältnis von Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe vor und nach 89 („mein Lieblingskapitel“) glaubt sie ein Muster gefunden zu haben, um ernsthaft deutlich zu machen, „warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten“.

Letzten Endes ist dieses Werk der Versuch, ein eigenes, gegenwärtiges Verhältnis zum längst Vergangenen zu finden. Dazu zählt auch ein starkes Kapitel über schweigende Stasi-Väter und ihre Kinder, die selbst heute nicht über das Vergangene reden möchten: „Die Existenz der Eltern legt sich wie ein Abdruck auf die Gegenwart.“ Sie beschreibt nun die Ostdeutschen in ihren „Geschichten“ nicht als defizitäre Westdeutsche, eher mit einem Selbstbewusstsein, das Schule machen sollte. Solch eigene Identität sei „keine Gefahr für die Einheit, sondern eine Bereicherung Deutschlands“, und Gemeinsamkeit wünschte sie sich als Ergebnis, nicht als Voraussetzung: „Wir fangen eigentlich erst an!“

Nach der Lesung erzählte eine ältere Zuhörerin, sie sei vor etwa 15 Jahren aus Westdeutschland hergezogen und habe „hier leben gelernt“. Wenn sie jetzt ihre Verwandten besucht, bemerke sie, dass man sie dort nicht mehr versteht. Wie kannst Du nur so denken, was meinst Du damit?, müsse sie sich immer wieder fragen lassen. Gibt es eine bessere Bestätigung für dieses Buch? Es gehört zum Intelligentesten und Nützlichsten, was das Thema „20 Jahre Mauerfall“ zu bieten hat.

„Achtung Zone - Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten“, Piper

Gerold Paul

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