
© Thomas Lähns
ZUR PERSON: „Wir sind wie ein Unternehmen“
Boris Nannt, Chef der Bundeswehr in Beelitz, über die neue Rolle seiner Truppe, Auslandseinsätze und das Ringen um Nachwuchs
Stand:
Im Oktober geht es für Sie und Ihre Leute wieder in den Afghanistan-Einsatz - während Franzosen, Briten und Amerikaner dort schon die Koffer packen. Haben Sie das Gefühl, da unten das Licht auszumachen?
Der Gedanke spielt für uns keine Rolle. Die Leute sind fokussiert auf die vier Monate, wir haben einen klar festgelegten Auftrag. Und den erfüllen wir. Sich mit Gerüchten zu beschäftigen, wer dort wie lange bleiben wird, führt zu nichts.
Deutschland will 2014 seine Streitkräfte endgültig abziehen. Was hat der Kampf um die Freiheit am Hindukusch gebracht?
Zum Erfolg der Mission hat natürlich jeder Soldat eine eigene Meinung – die ihn aber dienstlich nicht hemmt. Ich denke, wir haben in den zehn Jahren eine ganze Menge erreicht, vor allem was die generelle Sicherheit in dem Land angeht. Aber eine Gesellschaft kann man in so kurzer Zeit nicht umkrempeln, so etwas dauert Generationen. Bis dahin ist wichtig, dass man beim Volk den Willen zu Reformen weckt, für mehr Bildung oder für eine Verbesserung der Rolle der Frauen. In Städten wie Kabul oder Masr-e-Sharif wurde das auch erreicht.
Aber frei bewegen dürfen sich die Soldaten dort trotzdem nicht.
Nein, eigenständig darf natürlich niemand das Lager der Bundeswehr verlassen. Dies gibt die Sicherheitslage für unsere Soldaten auch nicht her, man denke nur an die IED-Bedrohung. („Improvised Explosive Devices“: Sprengfallen, die gezielt gegen Sicherheitskräfte eingesetzt werden, Anm. d. R.). Die Kameraden haben 24 Stunden durchgängig Dienst und sind voll gefordert.
Von dieser Gefahr sind auch die Logistiker betroffen, die „nur“ für Materiallieferung und Instandsetzung zuständig sind?
Ja, denn wir führen Transporte im Land durch – und wir stellen die Bergebereitschaft. Wenn ein Fahrzeug liegen bleibt, muss diese Einheit ausrücken, um es zurück ins Lager zu holen, was nicht ungefährlich ist. Die 80 Mann, die dafür abgestellt wurden, sind eine handverlesene Truppe. Die Wenigsten davon sind zum ersten Mal dabei, und deren Einsatzausbildung wird auch am weitesten vorangetrieben. Es ist meine wesentliche Leistung und auch Pflicht, die Soldaten für diesen fordernden Auftrag bestmöglich vorzubereiten und auszubilden.
Wie viele werden zum ersten Mal dabei sein – und wie bereiten Sie die Leute vor?
Ungefähr 50 Prozent der 300 Soldaten nehmen das erste Mal an einer solchen Mission teil. Seit Jahresanfang läuft die sogenannte Einsatzorientierte Ausbildung zur Krisen- und Konfliktbewältigung, bei der Dinge wie Patrouille oder Fahren in schwierigem Gelände geübt werden. Auch das Verhalten gegenüber der einheimischen Bevölkerung, zum Beispiel in ernsten Situationen, steht auf der Tagesordnung. Ende Januar waren wir auf dem Truppenübungsplatz in Altengrabow, Anfang März geht es in Lehnin weiter. Neben der Einsatzausbildung sind aber auch andere Dinge wichtig, zum Beispiel die Frage der sozialen Absicherung. Dazu gibt es Schulungen. Wir wollen Anfang September fertig sein, damit die Soldaten vor dem Abmarsch noch einmal Zeit zum Durchatmen haben.
Es wird oft unterstrichen, dass das Logistikbataillon 172 geschlossen in den Einsatz geht. Melden sich wirklich alle freiwillig? Bei uns herrscht ein besonderer Teamgeist. Mancher überlegt vielleicht etwas länger, ob er sich melden sollte, sieht dann aber, dass sich dieser oder jener Kamerad für den Einsatz entschieden hat und lässt sich davon mitreißen. Es gibt bei uns Leute, die schon sehr oft in Krisengebieten waren und mit ihrer Erfahrung den anderen Sicherheit geben. Vor Kurzem habe ich einen Stabsfeldwebel in den Ruhestand verabschiedet, der auf 1500 Einsatztage im Ausland zurückblicken konnte – unterm Strich vier Jahre. Andererseits legen wir großen Wert auf die Personalauswahl und schauen, ob jemand vielleicht gerade privat Probleme hat. Der bleibt dann zu Hause.
Sie können auch bei den neuen Rekruten aus den Vollen schöpfen. Obwohl die Wehrpflicht de facto abgeschafft wurde, werden die Ausbildungsdurchgänge immer wieder voll. Was machen Sie richtig, das andere offenbar falsch machen?
Man muss der Bundeswehr ein regionales Gesicht geben – einfach nur als Armee aufzutreten reicht nicht mehr. Deshalb öffnen wir uns und sind präsent. Wir verstehen uns als eine Qualitätsmarke im Land Brandenburg. Wir gehen an die Schulen, laden Klassen zu uns ein, bieten Praktikumsplätze an, machen gemeinsame Projekte mit der Stadt. Wir hatten letztes Jahr zum Beispiel 1300 Schüler an einem Tag bei uns in der Kaserne. Ich suche persönlich das Gespräch mit der Jugend und spüre den Informationsbedarf. Nachwuchsgewinnung ist eine zentrale Führungsaufgabe. Der Erfolg gibt uns recht: Ich habe in meinem Verband nahezu alle 900 Stellen in allen Laufbahnen besetzt. Es ist aber nur die eine Seite, denn wir fördern mit unseren Aktionen auch die politische Bildung und die Akzeptanz in der Bevölkerung. Das neue Motto der Bundeswehr „Wir dienen Deutschland“ trifft es meiner Meinung nach genau: Wir sind wie ein Unternehmen, das für den Staat und damit für jeden einzelnen Bürger arbeitet.
Die Bundeswehr als Unternehmen?
Ja, aber mit einem gewaltigen Alleinstellungsmerkmal: Der Bundestag kann uns jederzeit überall in den Einsatz schicken. Und das ist ein hoher Anspruch, dem wir gerecht werden müssen.
Auch mit Leuten, die nur zum Bund gehen, weil sonst vielleicht Arbeitslosigkeit droht?
Nein, die Befürchtung, wir würden zur Unterschichtenarmee, hat sich in keiner Weise bestätigt. Die Hälfte unserer Rekruten sind Abiturienten, fast alle anderen haben eine abgeschlossene Ausbildung. Aber die fachliche Qualität der Leute ist nur die eine Seite, denn sie müssen auch Herzblut haben und sich mit Leidenschaft für die Sache einsetzen. Deshalb spreche ich persönlich mit allen Bewerbern. Ich kann nur ihr Feuer entfachen, wenn ich sie kenne. Am 2. Januar hat bei uns wieder die Grundausbildung begonnen, dieses Mal mit 112 Rekruten - und ich kann sagen, dass ich noch nie so motivierte Soldaten hatte. Nach der Erfahrung von fast 8 Monaten freiwilliger Wehrdienst kann ich immer wieder nur unterstreichen: Ich bin wirklich beeindruckt von dem Leistungswillen und der Qualität der jungen Soldaten.
Aber manch einer macht schon noch einen Rückzieher.
Durchschnittlich 15 bis 20 Prozent verlassen uns in den ersten Wochen wieder. Aber die meisten, weil sie nun doch ihren angestrebten Studienplatz oder einen guten Job im Zivilleben bekommen haben. Ich finde das in Ordnung, denn jene, die bleiben – und das ist die große Masse – sind hoch leistungsfähig und motiviert.
Die Motivation der Neuen hat sicher auch mit dem neuen, durchaus freundlicheren Umgangston bei der Truppe zu tun. Bleibt da noch Platz für Disziplin?
Wenn man anständig mit Leuten umgeht, ziehen die auch mit. Befehl und Gehorsam haben nur kurzfristig Erfolg, in Stresssituationen sind sie unabdingbar. Langfristig geht es aber nur über die Sinnvermittlung, also den Soldaten klarzumachen, warum man etwas verlangt. Ohne Respekt geht es nicht, es darf aber auch keine Berührungsängste geben. Ich konnte noch nie viel mit Kadavergehorsam anfangen. Ein gesundes Menschenbild ist viel wichtiger.
Das Interview führte Thomas Lähns
Oberstleutnant Boris Nannt ist seit Dezember 2010 Kommandeur des Logistikbataillons 172 und damit auch Standortchef der Beelitzer Zieten-Kaserne. Der heute 42-jährige Berufssoldat ist 1989 in die Bundeswehr eingetreten, hat hier neben der Offiziersausbildung BWL studiert und als Diplom-Kaufmann abgeschlossen. Nannt ist verheiratet und lebt mit seiner Frau in seinem Geburtsort nahe Kiel. Er ist unter anderem Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr.lä
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