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Zwei Gemeindezentren in Tremsdorf: Wo die Landesstraße endet

Tremsdorf hat 250 Einwohner – und zwei Gemeindezentren. Warum man es den Einwohnern einfach nicht übel nehmen kann.

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Nuthetal - Ein Ort mit 250 Einwohnern – und zwei Gemeindezentren, kann das sein? Die Rede ist von Tremsdorf. Das Straßendorf mit seinen Kopflinden ist die größte Sackgasse von Potsdam-Mittelmark, die Landesstraße endet hinter dem Ortsausgang im Junigrün der Nuthe-Nieplitz-Niederung. Nur das Klappern der Störche auf dem Dach eines riesigen, backsteinroten Stalls durchbricht die Stille.

Um Tremsdorf zu verstehen, redet man am besten mit Rita Bochan. Die 87-Jährige ist Nachfahrin der Gutsherren. Das Tremsdorfer Gutshaus hat ihr Urgroßvater gebaut und sie bewohnt es noch. So lange sie denken kann, gibt es die Störche hier. Nur einmal seien sie umgezogen. Die LPG hatte den Generator der Milchanlage unter dem Horst installiert. Da sind sie von der einen auf die andere Giebelseite.

Kaum noch Ureinwohner

Und so lange sie denken kann, gibt es die Alte Schule, heute Dorftreff. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie gebaut, die Bauern sollen sich die Kosten mit dem König geteilt haben. Wie viele Alteingesessene es heute noch gibt? Rita Bochan nimmt einen Finger in die Hand, nach einer Weile einen zweiten. Man fürchtet, dass es länger dauern wird, doch bei sechs hört sie auf zu zählen. Es gibt kaum noch Ureinwohner.

Wo „zu Adolfs Zeiten“ ein Arbeitsdienstlager war, zu LPG-Zeiten Bungalowgrundstücke parzelliert wurden, würden inzwischen Zuzügler wohnen. Und auch im alten Dorf, in den stuckgeschmückten Bauernhäusern hinter schmiedeeisernen Zäunen und in den gut erhaltenen Dreiseitenhöfen, seien Leute aus der Stadt eingezogen. Vom Film, von der Zeitung, Anwälte – sie müsse gar nicht in die Stadt, sagt Bochan. „Die Stadt kommt noch Tremsdorf.“ Die S-Bahn zum Beispiel würde schon bis  Teltow fahren. Und der Bus, findet sie, hält auch recht oft.

Das Dorf soll der Demografie nicht zum Opfer fallen

Zweimal die Woche kommt der Bäckerwagen, Fleischer und Lebensmittelverkäufer lassen sich nicht mehr blicken. Jaromir Schneider ist Vorsitzender des Tremsdorfer Ortsvereins, er würde das Dorf gern „ganz sanft“ beleben – damit es nicht einschläft und irgendwann der Demografie zum Opfer fällt. Denn die Zuzügler seien auch schon in die Jahre gekommen, die meisten Einwohner seien über 50. Der Verein hat vor zehn Jahren die Alte Schule übernommen, in der zuletzt erfolglos eine Kneipe betrieben wurde. Ein sozialer Treff soll sie werden, für Tremsdorfer und ihre Gäste. Eigentlich sei sie das ja schon, sagt Schneider.

Klar gibt es ein paar Meter weiter noch das Gemeindezentrum, ein früheres Wohnhaus, das die Bewohner nach ihrem Tod der Feuerwehr vermachten, die nebenan ihre Garage hat. Die Feuerwehr richtete in den hinzugewonnenen Räumen den Sozialtrakt ein und die Bauernstube, in der ebenfalls Veranstaltungen, vor allem Feiern stattfinden. Für Jaromir Schneider hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Die Feuerwehr sei die größte in Nuthetal, der Feuerwehrförderverein nicht der Ortsverein. Dass zwei Gemeindezentren für einen so kleinen Ortsteil Luxus sind, wie im Nuthetaler Gemeinderat gerade diskutiert wird, kontert er mit dem Einwurf, warum man sich den nicht leisten soll für den Zusammenhalt.

Gottesdienst in der Alten Kirche

Viele Aktivitäten des Ortsvereins würden unmittelbar an der Alten Schule hängen, die Klassentreffen zum Beispiel aber auch die Lesungen, Geschichtsabende, Whisky-Verkostungen, Filmvorführungen und Ausstellungen. Es ist tatsächlich einiges los, seitdem der Ortsverein gegründet wurde. Wenn die Bauernstube gerade vermietet ist, wird auch der Gottesdienst in der Alten Schule gefeiert, eine Kirche hat Tremsdorf nicht. Andererseits weicht der Ortsverein im Winter mit Handarbeits- oder Korbflechtkursen und Spieleabenden in die Bauernstube aus, die Zentralheizung der Alten Schule ist in den Jahren des Leerstands kaputtgefroren.

Dass der Geranien-geschmückte Backsteinbau nicht verkommt, findet Rita Bochan schön. Das Tremsdorfer Original gehört zu den Jahrgängen, die selbst noch hier zur Schule gegangen sind. Beim zweiten Klassentreffen, dass vom Ortsverein organisiert worden war, war Bochan mit dabei. Damals tauschte man sich über alte Zeiten aus, als noch alles in der LPG gearbeitet hat. Noch zu DDR-Zeiten sind die ersten mit dem Werksbus zu Ifa nach Ludwigsfelde gefahren, wo Lastkraftwagen produziert wurden. Heute gibt es allenfalls auf dem Pferdehof noch Arbeit.

Vielleicht irgendwann auch in der Alten Schule, hofft Jaromir Schneider. Vor zehn Jahren schloss sein Verein zu dem Haus einen Vertrag mit der Gemeinde. Wenig Freiheiten gebe es darin, sagt Schneider. „Vielleicht dachten sie, das endet in der Sackgasse.“ Stattdessen wurde es bunt und es gab sogar ein bisschen Geld, als mit dem Konjunkturpaket das Dach saniert wurde. Jetzt sollen fünf Fremdenzimmer und eine Heizungsanlage folgen. Ob es auch dafür Fördermittel gibt, ist offen – ebenso, wie sich die Gemeinde beteiligt. Der alte Vertrag gibt das eigentlich nicht her und die Stimmung ist ein bisschen geteilt angesichts so weitreichender Pläne.

Das Konzept verdichtet sich

Die Tremsdorfer sollen eine Bürgerbefragung zu dem Thema durchführen. Jaromir Schneider hat davor keine Angst. Einiges wurde schon ausprobiert an dem Standort, alle hätten sich darüber gefreut. Es gab auch mal Ideen für eine Ziegenkäserei, die nach anfänglichen Erfolgen wieder fallengelassen wurden – als die Ziegenhirtin das Dorf verließ. Eine Seifenmanufaktur zog danach in einen der Räume ein und sie duftet noch, auf dem Grundstück entstand ein ansehnlicher Spielplatz und hinterm Haus gackern Hühner und wartet historische Feuerwehrtechnik in der Scheune darauf, aufgemöbelt zu werden.

So langsam verdichtet sich ein Konzept: Schneider hat einen Treff für Jung und Alt vor Augen, in dem die vorbeifahrenden Radler im Sommer einen Kaffee bekommen, die Rentner zweimal die Woche ihr Mittagessen abholen können und vielleicht die Brötchen, falls auch das Bäckerauto nicht mehr kommt. Über einen regionalen Ringschluss mit Landgasthöfen ließen sich die neuen Fremdenzimmer bewirtschaften. Die Einnahmen könnten helfen, die Alte Schule zu unterhalten und womöglich einen Arbeitsplatz zu schaffen. Die Störche signalisieren klappernd ihre Zustimmung.

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