Potsdam-Mittelmark: Zeuge: „Alles nur erfunden!“
Anklage wegen Drogenhandels im großen Stil brach zusammen
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Anklage wegen Drogenhandels im großen Stil brach zusammen Werder/Potsdam. Die Anklage klingt spektakulär. Viermal soll ein Werderaner zwischen Januar und April 2002 mit erheblichen Mengen Rauschgift gedealt haben. So habe er am 26. Januar auf dem Autobahnparkplatz Linumer Bruch an der A 24 Richtung Hamburg von einem Unbekannten ein Kilo Kokain und 1200 Ecstasy-Pillen erhalten, die er in seiner Wohnung lagerte, um sie mit Gewinn weiterzuverkaufen. Exakt einen Monat später soll der Mann erneut ein Kilogramm „Koks“ und 3600 Ecstasy-Tabletten zum Handel treiben von jener Person in Empfang genommen haben. Am 26. März habe sich das Prozedere mit genau derselben Menge Kokain wiederholt. Am 26. April – so die Staatsanwaltschaft – soll es sich gar um neun Kilogramm Kokain gehandelt haben. Verwunderlich, dass der Prozess bei derartigen Rauschgiftmengen am Amtsgericht und nicht vor dem Landgericht geführt wird. Noch merkwürdiger, dass der Angeklagte in Erwartung einer geharnischten Freiheitsstrafe nicht längst in Untersuchungshaft schmort. Nicht ganz so sonderbar die Aussage des vermeintlichen Drogen-Großhändlers: „Ich habe keinerlei Kontakt zu Kokain und bin unschuldig.“ Ein Angeklagter kann zwar lügen, dass sich die Balken biegen. Doch Alexander G.* (29) spricht offensichtlich die Wahrheit. Ein Zeuge hatte ihn schwer belastet, seine Aussage dann allerdings revidiert. „Es ist alles nur erfunden“, gesteht Marvin K.* (20) im Zeugenstand. Er kam mit seinem Rechtsanwalt Hans-Jürgen Kernbach, um endlich reinen Tisch zu machen. „Ich bin unter Androhung von Schlägen zu dieser Aussage bei der Polizei gezwungen worden“, berichtet der Autopfleger. Er habe einst in der Werderaner Diskothek „Interstate“ gearbeitet, sei beschuldigt worden, dort kistenweise Bier und Cola gestohlen zu haben, was nicht der Wahrheit entspräche. Eine „Person“ habe ihm dann gesagt, sie würde auf eine Anzeige verzichten, wenn er Alexander G. des Drogenhandels im großen Stil bezichtige. „Ich habe eine Beschreibung seiner Wohnung erhalten, sollte sagen, dass ich mich dort als Abnehmer mit ihm getroffen habe“, so der Zeuge. Aus Angst – mittlerweile hatte man ihm die Fensterscheiben eingeworfen, seine Eltern und die Freundin massiv bedroht – habe er sich auf das böse Spiel eingelassen. „Ich kenne Alexander G. als Gast der Disko. Manchmal sorgte er dort für Zoff“, erinnert sich Marvin K. und vermutet dies als Motiv seines Auftraggebers. „Ich glaube, ich werde heute immer noch von ihm und seinen Leuten verfolgt“, meint er bedrückt. „Meine Freundin traut sich abends nicht mehr auf die Straße.“ Um so anerkennenswerter sei es, dass er heute ausgesagt habe, betont der Staatsanwalt. Allerdings müsse Marvin K. nun mit einer Anklage wegen falscher Verdächtigung rechnen. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Beihilfe zum Drogenhandel seien nun nicht mehr haltbar. Gleiches trifft natürlich für Alexander K. zu. Er wird freigesprochen. (* Namen geändert.) Gabriele Hohenstein
Gabriele Hohenstein
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