
© Tobias Reichelt
Potsdam-Mittelmark: Zigaretten und Gazetten
Viktoria Brammers Kiosk in Kleinmachnow ist Treffpunkt für Leseratten, Kuchenliebhaber und Musiker
Stand:
Kleinmachnow - Ein Rätselheft für Frau Zander, eine Ausgabe der PNN für Frau Lüdenbecker und eine Schachtel Zigaretten für Herrn Lehmann. Wer den roten Teppich zu Viktoria Brammers Zeitungskiosk beschreitet und in den nach frischem Kaffee duftenden Raum voller Zeitungen und Magazine tritt, der kann sich fast schon sicher sein, mit Namen angesprochen zu werden. „Guten Morgen Herr Müller“, flötet Viktoria Brammer an diesem Morgen bereits dem nächsten Kunden entgegen. Doch der Lottospieler hatte diesmal kein Glück. „Alles klar, kein Kommentar“, ruft die Kiosk-Besitzerin und nimmt einen neuen Glücksschein entgegen.
Viktoria Brammers Laden in der Goethestraße 2 ist eine Institution in der Kleinmachnower Boschsiedlung. Junge wie Alte, Arbeiter wie Schüler, Rentner wie Doktoren kehren hier ein, um mit der redelustigen 71-Jährigen einen Plausch zu halten, eine Zeitung zu kaufen, ein Stück hausgebackenen Streuselkuchen zu verdrücken oder eine selbstgemachte Gulaschsuppe zu genießen. Seit bereits 15 Jahren betreibt die energiegeladene Kleinmachnowerin mit der Berliner Schnauze ihr kleines Kiosk-Schmuckstück, dessen kontinuierliche Einnahmen ihr in schlechten Zeiten über die Runden halfen. Dafür ist Brammer dem Geschäft und ihren Kunden dankbar. Und deshalb will sie weitermachen, „bis ich umkippe und hier rausgetragen werde“, sagt sie.
Nach dem Fall der Mauer war Brammer aus Berlin nach Kleinmachnow gezogen. Als der alte Kiosk in ihrer Nachbarschaft vor dem Aus stand, sprang die Geschäftsfrau ein und hinter die Kasse. „Ich mache nichts, was ich nicht von der Pike auf lerne“, sagt Brammer. Von der Vorbesitzerin schaute sie sich die Tricks und Kniffe ab, die eine flotte Kiosk-Besitzerin braucht. Als mit einem Mal andere Geschäftstätigkeiten Brammers einfroren – unter anderem hatte sie für eine Agentur für Neuberliner gearbeitet, die bei Wohnungs- und Jobsuche half – blieb ihr der Kiosk als letzte Einkommensquelle.
„Der liebe Gott hat immer seine Finger dazwischen“, sagt Brammer und blickt zu einem großen Jesus-Kreuz über dem Magazin-Regal. „Ich hatte nie geahnt, dass der Laden mal mein einziges Standbein bleiben sollte.“ Dabei hatte sie viele davon: Ende der Neunziger arbeitete sie mit anderen Kleinmachnower Frauen an der Zeitung „Die Wespe“. „Wir haben mächtig gepiekt“, sagt Brammer. Bis dem Blatt der Stachel gezogen wurde. Sie selbst bezeichnet sich auch als Erfinderin des Vereins „Checkpoint Bravo“, der sich um den Erhalt des früheren Grenzturms in Dreilinden kümmert. Brammer organisiert seit Jahren auch einen Weihnachtsmarkt auf dem Rathausmarkt und lädt Musiker zu Jammsessions in ihren Laden ein. Jeden ersten Freitagabend im Monat spielen zum Beispiel 70-jährige Saxofonisten mit einer neunjährigen Flötistin Lieder wie „Pack die Badehose ein“.
Viktoria Brammer war auch schon in der Politik. Sie hat zwei Legislaturperioden in der Kleinmachnower Gemeindevertretersitzung gesessen und sich in dieser Zeit zweimal mit ihren politischen Kollegen verkracht. Bevor das ein drittes Mal passieren konnte, hatten sich die Wahlhelfer bei der Stimmenauszählung vor fünf Jahren zuungunsten Brammers verzählt, sagt sie. In diesem Jahr will die quirlige Kleinmachnowerin wieder antreten. Jetzt als Einzelgängerin. Ein Wahlprogramm hat sie nicht. „Dafür bin ich in meinem Kiosk immer für meine Wähler da.“
Die Kleinmachnower Bürgerlobbyistin lächelt. Im Fünf-Minuten-Takt reicht sie Zigaretten, Gazetten oder frischen Kaffee über ihren kleinen Tresen. „Tschüss mein Lieber“, ruft sie Herrn Müller noch nach und drückt ihm im Winken die Daumen für die nächste Lottoziehung. „Danke“, ruft der, und: „Bis zum nächsten Mal.“
Der Kiosk in der Goethestraße 2 ist Montag bis Freitag von 8 bis 14 Uhr sowie 16 bis 19 Uhr geöffnet, Dienstag und Samstag nur am Vormittag.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: