KulTOUR: Zitate, Zitate, nichts als Zitate!
Christian Andres Konzeptkrimi „Die Wortfalle“ in der Fercher Kulturscheune
Stand:
Schwielowsee · Ferch - Eine „Anstalt“ oder ein Gefängnis im imaginären Land. Sirenen heulen, Suchtrupps rüsten sich – C. ist nach zehnjähriger Haftzeit ausgebrochen, an einem trüben Novembertag, nachmittags um fünf. Seine Flucht aus P.Town war lange geplant, denn eine Rechnung war noch zu begleichen, Rache. Der Flüchtling hatte kurz zuvor noch im Traum mit F. geschlafen, jetzt aber rannte er durch die Nacht, nahm den Zug in Richtung G.Ville, entwendete dann ein Auto, bis er an der Wohnung, respektive am Bungalow von F. ankam. Er beobachtete sie vom Garten aus, er sah, dass V., Besitzer dieser ominösen „Wortfalle“, nicht anwesend war
So begannen am Sonnabend die ersten Kapitel des gleichnamigen Textes in der Kulturscheune Ferch, ein Krimi mit blutigem Ende. Er stammt vom Berliner Christian Andres, einem Mann mit Strohhut und heiterer Laune. Ist er wirklich der Verfasser? Keine unmögliche Frage, Andres gehört nicht zur schreibenden Zunft. Er ist ein bildender Künstler mit vorbildlichem Lektürebedürfnis. Irgendwo hatte er gehört, dass ein gewisser Autor jeden Tag mit einem neuen Anfang für ein Buch in spe daherkam. Diesen Wink nutzte er, um ein schönes Exemplar von „Konzeptkunst“ zu entwerfen. Dank des Kulturforums staunten etwa 20 Besucher, was in diesen Künstler-Kreisen allein mit Zitaten so alles möglich ist.
Während C. im Regen lauert, ein paar Worte dazu. Wie Brecht, so hat auch Andres kein Problem, bei anderen „auszuborgen“. Die Idee zur Wortfalle ist jedoch kein plumper Diebstahl. Vielmehr nahm er von zweitausend Druckwerken verschiedener Zeiten und Autorenschaften – Prosa, Sachbuch, Krimi – höchstens die beiden ersten Sätze, ordnete, fügte die Teile zu einer 80-seitigen Kriminalgeschichte. Wenn Namen und Orte nicht passen wollten, glich er mit eigener Feder aus. Ist es falsch, wenn er behauptet, „Die Wortfalle“ stamme nicht von ihm, Ähnlichkeiten mit Personen oder Handlungen seien „weder frei erfunden noch zufällig“? Der Mann lügt nicht. Zitate, nichts als Zitate – wer nur genügend davon heranschaffe, müsse notgedrungen etwas Originales erzeugen. Ziemlich originell.
Inzwischen ist V. bei F. eingetroffen. Er tippt jetzt an seiner „Maschine“, verwirft das Papier. Dann geschieht der fast perfekte Mord. C. tötet V. mit einem Revolver, schläft, wie geträumt, noch einmal mit F., um sie dann mit einem Messer abzumurksen. Anschließend drapiert er alles so, dass selbst Detektiv Z. an eine „Beziehungstat“ zwischen V. und F. glaubt. Erst mit dem Wind kommt im fünften Kapitel die Wahrheit ans Licht, fast. Gerade als „Die Wortfalle“ zuschnappen wollte, war die neunzigminütige Lesung zu Ende.
Es gibt zwar keine Druckfassung zu diesem „Konzeptkrimi“, wohl aber ein von Andres produziertes, ruheloses Video. So geht ein gutes Stück Imagination verloren, dafür hatte man ein echtes „Multimedia-Ereignis“ vor sich. Wer hingegen meinte, bei der Produktion eines Hörstücks dabei gewesen zu sein, hätte auch nicht geflunkert. Conradio del Rosario spielte Selbstkomponiertes auf dem Saxophon, Martin Daske kümmerte sich um Geräusche. Als Sprecher, wirklich hervorragend, der Schauspieler Erwin Schastok.
Die Art macht Andres so schnell keiner nach. Man kann sie nicht stehlen. Eine Fortsetzung wird erwogen, es sollte nur kein Krimi mehr sein. Trotz allen Respekts, dafür mit Erbarmen: Wo hört das Zitat nun auf, wo beginnt ein Original? Die Wortfalle ist eben keine Erfindung.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: