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Vom Stall zum Buch. Renate Grandzinski-Wagner und Klaus Grandzinski in der Bücherbörse.

© Eva Schmid

Potsdam-Mittelmark: Zu Gast im Bücherstall

Die 2000 Bücher der neuen Fercher Bücherbörse stehen in Pferdetränken

Von Eva Schmid

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Schwielowsee - Stundenlang könnte man in dem alten Pferdestall in Ferch sitzen. Schmökernd die Zeit verstreichen lassen, dazu einen Kaffee oder ein Glas Wein. In dem fast 200 Jahre alten Bau mit seiner historischen Kappendecke sind die Farben dezent, es brennen Kerzen, an den Regalen leuchten kleine Stehlampen. Die Atmosphäre mit Kamin und Sofas ist gemütlicher als in mancher Bibliothek. Und die Bücherauswahl kann sich sehen lassen: Fast 2000 Schmöker stehen mittlerweile in den Regalen in der Beelitzer Straße. Das Projekt nennt sich „Fercher Bücherbörse“. Ein Ehepaar aus Ferch hatte vor sechs Monaten die Idee dazu.

„Ein bisschen verrückt sind wir schon“, sagt der 75-jährige Klaus Grandzinski. Sie seien einfach unruhige Geister, er und seine Frau. „Sich einfach zur Ruhe setzen, das geht nicht.“ Die Idee zur Bücherbörse ist dem Ehepaar in der Innenstadt von Frankfurt am Main gekommen. „Da haben wir einen gläsernen Bücherturm auf der Straße entdeckt, so was wollten wir auch für Ferch“, erzählt die 69-jährige Renate Grandzinski-Wagner, die mal als Heilpädagogin tätig war.

Es wurde nichts daraus, zu viel Verwaltungszeugs, winkt die Frau mit den lockigen Haaren und der roten Brille ab. „Also dachten wir, die ehemalige Fercher Bibliothek wiederzubeleben.“ Auch das war schwierig: Immerhin werde das Gemeindezentrum, in dem die Bibliothek mal war, von vielen genutzt. Das Ehepaar hätte nur einmal pro Woche seine Büchersammlung dort vorbeibringen können. „Das wäre ein Geschleppe gewesen“, so die gebürtige Berlinerin. Und ungemütlicher. Ferchs Ortsbürgermeister Roland Büchner hatte nicht lockergelassen und Grandzinskis ermutigt, dranzubleiben. Die Spende aus dem Ort: 50 Bücher zum Projektbeginn.

Mittlerweile stapeln sich in den zwei historischen Pferdetränken die Bücher. Von Belletristik, Biografien, Koch- und Sachbüchern über Kinder- und Jugendliteratur ist alles dabei. Einer der Schwerpunkte liege auf jüdischen Autoren wie Stefan Zweig oder Leon Feuchtwanger. „Aber auch viele historische Bücher über Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg haben wir hier“, so Klaus Grandzinski. DDR-Literatur gebe es auch, sagt Renate Grandzinski-Wagner und zieht ein Buch des Spremberger Autors Erwin Strittmatter hervor. Daneben steht Eugen Ruges Bestseller „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, auch Werke des Dresdner Autors Ingo Schulze.

Bevor die Wände voller Bücherregale standen, wurden in dem Stall französischer Wein, Geschirr und Stoffe verkauft, auch Kuchen wurde in dem kleinen Bistro serviert. Der ehemalige Schulamtsleiter hatte mit seiner Frau zuvor einen Laden auf der Werderaner Insel betrieben. Ihr Geschäft mit dem Namen „le magasin“ ist dann beim Umzug nach Ferch in den Stall, direkt neben dem Wohnhaus des Paares, gewandert. Jetzt wurde daraus die ländliche Bibliothek

Neuer Lesestoff sei gerade in zwei Koffern aus Schweden eingetroffen. „Durch unser ehemaliges Geschäft haben wir noch viele Kontakte in Deutschland und Europa“, sagt Klaus Grandzinski und lacht. Denn mittlerweile würden alle, die zu Besuch kommen, Bücher mitbringen. Groß ist daher auch der Fundus an französischsprachigen Werken, auch Bücher auf Englisch habe man im Angebot.

Rund um Potsdam gibt es damit bereits zwei private Bücherprojekte. Wie berichtet wurde in Michendorf im April ein öffentlicher Bücherschrank in einer alten englischen Telefonzelle eröffnet. „Nimm ein Buch und gib ein Buch“ – das gilt grundsätzlich nicht nur in Michendorf, sondern auch in Ferch. Ausnahmen sind an beiden Standorten möglich: Man kann auch Bücher nur bringen oder nur mitnehmen. Besonderheit in Ferch: In der Bücherbörse kann Literatur auch ausgeliehen werden. „Es ist nämlich gar nicht immer so einfach, sich von seinen Lieblingsbüchern zu trennen“, verrät der Mann mit der runden schwarzen Brille.

Besonders lieb seien ihm seine Kunstkataloge oder Werke von Sigmund Freud oder Erich Fromm. Beim Ausleihen vertraut das Ehepaar darauf, dass die Bücher zurückgebracht werden. Auf Verwaltungsarbeit haben beide keine Lust. Lesen und genießen, das ist das Motto des Fercher Bücherbörsen-Ehepaars.

Einmal in der Woche öffnet die Bücherbörse ihre Türen in der Beelitzer Straße 6, und zwar Freitagsabend von 16 bis 20 Uhr. „Früher im Bistro haben wir die Leute bedient und sind von Tisch zu Tisch geeilt“, erinnert sich Klaus Grandzinski. Die Zeiten seien vorbei: Jetzt genieße man, zusammen mit den Bücherfreunden, die das Ehepaar nach wie vor Gäste nennt, sich über Literatur zu unterhalten.

Und manchmal, ja da verquatscht man sich mit ihnen so sehr, dass auch schon mal zusammen Abend gegessen wird. Die Grandzinskis setzen da auf ihr Lachen und ihre Frohnatur. „Immerhin haben wir 30 Jahre im Rheinland gelebt, das hat dann doch seine Spuren hinterlassen“, so Klaus Grandzinski.

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