KulTOUR: Zwischen Lieben und Leben
Feinste Nuancen der Seele. Dostojewskis Roman „Der Idiot“ auf der Bühne der Comedie Soleil
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Von Gerold Paul
Werder (Havel) - Später einmal wird man sagen: Damals konnten und wollten die Leute noch zwischen Gut und Böse unterscheiden, auch wenn alle Umstände dagegendrängten. Und wird die Bücher jener Tage um so begieriger nach den alten und gültigen Wahrheiten durchforschen. An Fjodor M. Dostojewski kommt dann keiner vorbei, sein Roman „Der Idiot“ ist geradezu ein Exempel, wie Menschen das Gute wollen, und doch nach dem anderen greifen. Das ist immer aktuell.
In der Werderaner Comedie Soleil war jetzt eine interessante Fassung des dicken Romans zu sehen, aufbereitet und präsentiert vom „Russischen Theater Potsdam/Berlin“. Nie gehört? Seine Prinzipalin, die Russin Tatjana Knat, hat noch zu Gorbatschows Zeiten in der Sowjetunion Schauspiel und Regie studiert. Jetzt lebt sie in Potsdam. Den Berliner Anteil verritt Ekatarina Chapandze, eine darstellerisch hochbegabte Studentin der Theaterwissenschaft gleicher Nationialität. Mehr Personal gibt es bei dieser Bühne „Eins plus“ nicht, weitere Mitstreiter holt man sich bei Bedarf dazu.
Drei Blenden, auch für Schattenbilder zu verwenden. Tisch und Stuhl sind alles, was man zur Ausstattung des nicht gerade langen Monologstückes braucht. Tatjana Knats Bühnenfassung will vor allem das Schwanken der „verdorbenen“ Protagonistin zwischen dem Lebe- und Triebmenschen Rogoshin und dem hohen Charakter des Fürsten Myschkin darstellen, insofern ist ihr Titel „Die Träume der Nastasja Fipippovna“ irreführend. Sie hat sich also zwischen Liebe und Leben zu entscheiden. Der Fürst liebt sie ungeachtet ihrer meträssenhaften Vergangenheit um ihrer selbst willen, er will sie gleichsam erlösen. Dostojewski sah in der Figur dieses liebenswerten Epileptikers eine Melange aus Jesus, dem heilsamen Ideal „der Schönheit“ ad hoc und seiner eignen Person.
Was nun die beiden Herren miteinander auszumachen haben, verlegt die Regie geschickt ins Off, Helge Sauer und Roman Gegenbauer leihen den beiden ihre Stimmen. Wirkungsvoll wird auch die herrliche Musik des russischen Komponisten Sergej Kurochin in das Geschehen integriert. Alles andere ist der charmanten Ekatarina Chapandze zur Lösung solo aufgetragen, und sie spielt unter der erklärten Zeugenschaft des Publikums in gutem Deutsch so ziemlich alles durch: Die öffentlich bloßgestellte und für hunderttausend Rubel gekaufte Hätere, die von Myschkin per Off so zärtlich Umworbene, die Herrscherin über das unsichtbare Hauspersonal. Sie entsagt dem, den sie liebt und innerlich nicht „beschmutzen“ will und geht mit dem verhassten Kaufmann Rogoshin in die Provinz, wartend, wer da wen zuerst totmacht. Die letzte Szene im Flüsterton der Männer: Nastasja erdolcht im Dunklen gebahrt – „doch floss fast kein Blut...“. Sie hat, was für ein Exempel, das Unreine, die Erde gewählt. Wer in ihrem Schicksal Prophetischens sieht, geht auch nicht ganz fehl. Die Darstellerin hat eine ganz wunderbares Talent, mit kleinem Aufwand noch die feinsten Nuancen der Seele wiederzugeben, Gesten, Blicke, eine nur angedeutete Bewegung für das Ganze sprechen zu lassen. Sie vermag mit Leichtigkeit Spannung und Atmosphäre aufzubauen, Tiefe vielleicht weniger.
Bravo-Rufe beim Schlussapplaus für eine kompakte, Inszenierung, für ein gelungenes Gastspiel . Eigentlich ist alles ganz einfach: Fürst Myschkin sagt „Du bist gut!“ sie antwortet „ich bin schlecht“, das ist doch die ganze Geschichte.
Gerold Paul
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