Sport: Als das Beten wieder half
Kein Küsschen. Kein Tänzchen.
Kein Küsschen. Kein Tänzchen. Nur ein kurzer Gruß. Marcelinho ist schon ein seltsamer Typ. Sein Klub, Hertha BSC, hatte am Samstagnachmittag 3:1 (2:1) in Wolfsburg gewonnen, und in der Berliner Fankurve riefen sie seinen Namen. Marcelinhos Reaktion? Ein Lächeln. Erst als ihn die Kollegen vor den Block zerrten, warf er sein Trikot über den Zaun. Ein bescheidener Auftritt des brasilianischen Spielmachers. In Wolfsburg hatte er gut gespielt, ganz anders als vor einer Woche bei der 1:3-Niederlage in Mönchengladbach. Herthas Trainer Falko Götz nannte Marcelinho nach dem Spiel "überragend".
Zum Thema Fotostrecke: Bilder der Saison 01/02 Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Bundesliga-Tippspiel: Das interaktive Fußball-Toto von meinberlin.de An der Seitenlinie hatte Götz noch geschimpft. Nicht über Marcelinho. Sondern über Denis Lapaczinski und Thorben Marx. Beide hatten auf der rechten Seite einen schlechten Tag erwischt und kickten ausgerechnet vor dem Klappstuhl ihres Trainers. Immer wieder sprang Götz in seiner Coaching-Zone umher und versuchte vom Spielfeldrand deren Stellungsfehler zu korrigieren. Götz hätte liebend gern zur Halbzeit ausgewechselt, nur wen hätte er dann bringen können? Sverrisson plagen Achillessehnenprobleme, Rehmer wird nach seinem Bänderriss noch einige Wochen fehlen. Am Freitag, einen Tag nachdem sich Sebastian Deisler beim Training einen Muskelfaserriss zugezogen hatte, meldeten sich neben Stürmer Alves auch Schmidt und Tretschok für das Auswärtsspiel in Wolfsburg ab. So durften gestern sogar Männer wie Pinto und Tchami auf der Ersatzbank Platz nehmen - beide offensive Spieler, also keine Alternative für die rechte Seite.
Dafür lief es im Angriff wirklich ordentlich, oft sogar sehr gut. Marcelinho hatte wesentlich mehr Freiräume als vor einer Woche, als er sich das Mittelfeld noch mit Sebastian Deisler teilen musste. Und da sich kein Wolfsburger so richtig für Herthas Spielmacher zu interessieren schien, tobte der sich genüsslich aus. Als sich Stefan Beinlich nach zehn Minuten das erste Mal den Ball schnappte, traf Kollege Bart Goor das Tor. Der Jubel kam zu früh, Goor stand im Abseits. Eine Viertelstunde später ging Hertha dann doch in Führung. Michael Hartmann setzte sich - wieder nach feinem Pass von Beinlich - gegen Frank Greiner durch und schoss den Ball über Wolfsburgs Keeper Sead Ramovic hinweg ins leere Tor. Nur drei Minuten später erhöhte Herthas Stürmer Michael Preetz sogar auf 2:0.
Die Vorlage zum zweiten Treffer kam von Marcelinho. Er hatte im Strafraum zwei Wolfsburger ausgetanzt und dann derart platziert geschossen, dass VfL-Torwart Ramovic den Ball abprallen lassen musste und Preetz zu seinem elften Saisontor verwandeln konnte. Als die Kugel im Tornetz lag, gönnte sich Marcelinho einen Moment der inneren Einkehr. Der beste Akteur auf dem Platz kniete auf dem Spielfeld nieder, faltete die Hände zum Gebet, und verharrte einige Sekunden still. Erst danach rannte er zu den 3000 mitgereisten Hertha-Fans und ließ sich bejubeln.
Hertha lag nun deutlich in Führung. Eigentlich keine schlechte Situation in einem Auswärtsspiel. "Nur dann ist bei uns der Schlendrian eingekehrt", sagte Götz. Sein Team verlor die Konzentration und spielte plötzlich jenen schwachen Fußball, den es schon in Mönchengladbach geboten hatte. Zehn Minuten vor der Pause erzielte Wolfsburgs Diego Fernando Klimowicz den Anschluss. Götz erzählte später, dass "wir in der Kabine einige Spieler aufwecken mussten."
Sein Kommentar in der Kabine muss deutlich gewesen sein, denn nur drei Minuten nach der Halbzeit traf Thorben Marx zum 3:1, sein erstes Bundesliga-Tor. "Für ihn habe ich mich besonders gefreut", sagte Götz. Seine Mannschaft legte noch einen Gang zu. Dardai und Marcelinho hätten in der zweiten Halbzeit noch ein, zwei Tore nachlegen können, ja, "sogar müssen", sagte Götz.
Der Sieg in Wolfsburg war wichtig. Hertha ist der Konkurrenz wieder ein Stück näher gerückt. "Wir haben in den kommenden Wochen noch schwere Spiele vor uns", sagte Simunic. Hertha BSC muss gegen die Spitzenklubs der Bundesliga spielen, gegen Bayern, Schalke und Leverkusen. Die Bayern zählen zu Herthas Konkurrenz im Kampf um die Qualifikation für die Champions League. "Das Ziel der Mannschaft ist der fünfte Tabellenplatz", sagte Simunic, "aber natürlich versuchen wir den dritten Platz zu erreichen." Auch Mannschaftskapitän Michael Preetz hielt sich zurück. "Ich weiß noch nicht einmal, wie die anderen gespielt haben." Hinter seinem Rücken leuchtete die Anzeigetafel. Die Bayern haben gegen Bremen nur ein Unentschieden geschafft. Hertha ist wieder im Geschäft.
André Görke