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Sport: Angestrengte Stille in Leipzig

Nach den Krawallen spielt Lok wieder

Die Autofahrer müssen die Kofferräume öffnen. Am Eingang tasten Ordner auch kleine Kinder ab. Die meisten Fans vom 1. FC Lok Leipzig finden die verstärkten Kontrollen richtig und nehmen eine rote Karte entgegen – als Zeichen gegen Gewalt. Die Männer drüben am Bierstand dagegen grummeln, sie sehen in den Maßnahmen eine Provokation, die nur neuen Ärger heraufbeschwöre. Es sind kräftige Herrschaften, sie tragen Kapuzenpullover, ihre Haare kurz. In den Händen halten sie alkoholfreies Bier. Anderes gibt es hier nicht mehr.

Der Bezirksligist tut einiges, um neue Krawalle zu vermeiden. Beim letzten Spiel vor zwei Wochen hatte es schwere Ausschreitungen und 39 verletzte Polizisten gegeben. Der Traditionsklub kämpft deshalb am Samstag gegen den SSV Stötteritz nicht nur um den Aufstieg in die Landesliga, sondern auch um seinen Ruf. Der Gegner ist Tabellenvierter und spielt nur drei Bushaltestellen entfernt. Doch deshalb ist das Spiel nicht so besonders. Lokalderbys sind die Fans von Lok Leipzig seit der Insolvenz und dem Neuanfang in den Niederungen des Amateurfußballs vor drei Jahren gewohnt.

Die Polizei hält sich diesmal aus dem Inneren des Stadionbereichs fern. Außerhalb sind 100 Beamte im Einsatz. Seit 12 Uhr mittags sitzen sie in den Einsatzwagen an der Connewitzer Straße, dort wo es vor zwei Wochen „geknallt“ hat, wie es ein Fan nennt. 300 Beamte waren damals im Einsatz, das Spiel im Sachsenpokal gegen die zweite Mannschaft von Erzgebirge Aue hatte „von vorneherein eine andere Bedeutung“, erklärt Polizeisprecherin Diane Voigt. Dennoch war die Polizei überfordert. Bis zu 900 Gewalttäter sollen bei der Jagd auf die Polizei dabeigewesen sein. Sie schmissen Pflastersteine, einige Beamte rannten um ihr Leben, ein Polizist gab einen Warnschuss ab. Der Zaun an der Straßenecke zur Prager Straße ist noch immer aus der Verankerung gerissen. Der irakische Pizzabäcker fährt eine Stunde vor Spielbeginn sein Auto hier weg – vorsichtshalber.

Als die Mannschaften auf den Rasen kommen, tragen sie ein Transparent: „Wir dulden weder Gewalt noch Extremismus. Wir und unsere wahren Fans wollen nie wieder einen 10. Februar.“ Die Zuschauer klatschen laut und rhythmisch. Ein paar verweigern den Applaus, es gibt einzelne Pfiffe, als Leipzigs Trainer Rainer Lisiewicz eine Rede hält, um sich bei der Polizei zu entschuldigen. Doch die Stimmung bei den 2240 Zuschauern bleibt friedlich, vielleicht auch weil niemand im Stadion ist, der sie provozieren könnte. Beim Spiel gegen Aue waren 5300 Zuschauer gekommen, darunter zahlreiche gegnerische Fans.

Chaoten sind hier schwierig auszumachen. Kapuzenpullis und kurze Haare tragen im Bruno-Plache-Stadion viele, selbst der Stadionsprecher und die Bierverkäufer sehen einigen Hooligans auf den 22 Fahndungsfotos ähnlich, die der Klub an die Kassenhäuschen geklebt hat.

Die Spieler beginnen nervös. Die Fans klatschen dankbar, als Leipzigs Kapitän Rene Heusel ungelenk weit am Tor vorbeischießt. Endlich wieder Fußball. Spiel und Stimmung werden von Minute zu Minute besser. Draußen haben Polizei und Ordner Funkkontakt, auch das ist neu. Vorkommnisse? Sechs angetrunkene Personen bekommen den Einlass verwehrt und Stadionverbote. Harald Meyer vom DFB-Sicherheitsausschuss rennt mit einem Schnellhefter umher. Ansonsten passiert nichts – außer zwei laut beklatschten Toren. 2:0 gewinnt Lok Leipzig ein fast normales Sechstligaspiel.

Stefan Tillmann[Leipzig]

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