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Sport: Beulen in Berlin

Denkbar knapp verliert Oktay Urkal seinen WM-Kampf gegen den Amerikaner Vivian Harris

Berlin. Der Schuldige feierte wenige Kilometer Luftlinie weiter im Tempodrom – die linke Tageszeitung „taz“. So fand es jedenfalls Wilfried Sauerland, der Veranstalter der Berliner Boxnacht in der Max-Schmeling-Halle. „Hätte der Kampf im Tempodrom stattgefunden, wäre Oktay Urkal der Sieger gewesen“, sagte der Promoter und Manager des Berliner Boxers. Er meinte das nicht ganz so ernst, dafür hat Sauerland in 20 Jahren zu viele Boxkämpfe veranstaltet. Doch ein bisschen haderte er schon. Die Architektur des zeltgleichen Betonbaus Tempodrom in Berlin-Kreuzberg wäre genau das Richtige gewesen für Berlins bekanntesten Türken. Dort wäre um den Ring jene Hexenkessel-Atmosphäre entflammt, die Oktay Urkal in dieser Nacht benötigt hätte, um Weltmeister zu werden.

Hinterher saß der 34-jährige Oktay Urkal nur in der zweiten Reihe auf dem Podium. Eine Armlänge vor ihm thronte der acht Jahre jüngere Vivian Harris, der alte und neue WBA-Weltmeister, der den Berliner Halbweltergewichtler nach zwölf Runden hauchdünn bezwungen hatte (zweimal 114:112, und 113:113).

Es war weit nach Mitternacht. Die meisten der 4000 Zuschauer waren längst verschwunden, da saß der unterlegene Boxer mit einer tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze, streichelte seine Beulen und Brüschen im Gesicht und trauerte: „Ich könnte weinen und mich auf den Boden schmeißen“, sagte Urkal. Für den „Cassius von Kreuzberg“ war es die letzte Chance, Weltmeister zu werden, nachdem er bereits vor drei Jahren in den USA denkbar knapp gescheitert war. „Es ist ein schlimmes Gefühl. Überall kann ich verlieren, nur nicht hier in Berlin“, sagte er.

Oktay Urkal wusste, dass dem drahtigen Titelverteidiger aus Übersee nur ganz schwer beizukommen sein würde. Der Heimvorteil sollte den Ausschlag zu seinen Gunsten geben. Berlin als Austragungsort war bewusst gewählt worden von Urkals Manager, der den Kampf ersteigert hatte. Eigentlich hätte dieser Anfang Januar im Tempodrom über die Bühne gehen sollen. Damals musste der Weltmeister passen. Harris hatte eine Zyste an der Schlaghand. Diesmal, zum zweiten Termin, war das Tempodrom geblockt. Die „taz“ feierte mit 5000 Gästen ihren 25. Geburtstag. In der Schmeling-Halle fiel die Party aus.

Vivian „Vicious“ Harris, der „Böse“, spielte nicht mit. Der schwarze Boxer, ausgestattet mit katzengleicher Geschmeidigkeit und schnellen, harten Händen, nutzte in den ersten Runden seine Reichweitenvorteile. In der dritten schickte er Urkal mit einer krachenden Rechten auf die Bretter. „Ab da an habe ich ihn getrieben. Oktay sollte voll auf Angriff gehen. Und er hat es fabelhaft gemacht, leider mit dem schlechteren Ende für uns“, sagte hinterher Trainer Ullrich Wegner. In der vierten Runde begann Urkals starke Phase. Die folgenden Runden konnte er für sich entscheiden. Mit überfallartigen Angriffen überwand er die Distanz zu Harris’ Kopf und Körper. Es entwickelte sich ein offener Schlagabtausch. „Da war alles drin: Tempo, Technik und harte Schläge“, sagte Sauerland. Harris beschränkte sich darauf, seinen Herausforderer abzukontern. Er schlug einen schönen linken Haken und flankte oft mit seiner Rechten dazwischen. Aber Urkal marschierte nach vorn. Es war seine einzige Chance, den Titelverteidiger in Verlegenheit zu bringen, aber es war zugleich ein großes Risiko. Harris hatte zeitweilig Mühe, schlug viermal tief und wurde dafür vom Ringrichter verwarnt. Es war ein enger, ein dichter Kampf – ohne Raum und Zeit für Pausen. Urkal hatte oft eine Hand mehr drin, nach der achten Runde lag er vorn.

In der elften Runde stießen beide Boxer mit den Köpfen zusammen. Blut strömte aus Urkals Nase, das er immer wieder mit dem Boxhandschuh wegwischen musste. Das behindert ihn. „Denk’ nicht an deine Nase! Erinnere dich daran, wie und warum du dich solange gequält hast“, hatte ihm sein Trainer in der letzten Ringpause gesagt. Die Schlussrunde ging knapp an Harris. „Ich habe mein Bestes gegeben“, sagte Urkal nach dem Kampf. Ob die Nase gebrochen war, konnte er nicht sagen. „Wahrscheinlich, aber jetzt bin ich zu müde, um das nachgucken zu lassen. Das werde ich Montag machen.“

Und danach? „Ich werde mir Zeit nehmen und nachdenken, ob und wie es weitergeht“, sagte Oktay Urkal. Er weiß, dass er mit 34 Jahren seine sportliche Zukunft eigentlich hinter sich hat. Flankiert von meterhohen Flammen war er Samstagnacht in die Arena einmarschiert. Als er sie am Sonntagmorgen verließ, brannte nur noch sein Gesicht.

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