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Sport: Das Ende aller Romantik

Eintracht Frankfurt bangt um den Ligaverbleib – und das Lebenswerk von Vorstandschef Bruchhagen

Heribert Bruchhagen besitzt weder ein iPhone noch ein Blackberry. Wer den Vorstandsvorsitzenden der akut abstiegsbedrohten Eintracht Frankfurt Fußball AG erreicht, landet auf einem uralten Nokia-Modell. Ohne all den neuzeitlichen Schnickschnack, den die jüngere Generation gar nicht missen möchte. Wenn Bruchhagen, einer der anerkanntesten Strippenzieher der Branche, telefoniert, wirkt das wie ein Anachronismus in der Lebenswelt des früheren Gymnasiallehrers. Und doch ist der 62-Jährige immer der Meinung gewesen, die Fußballwelt der Neuzeit erklären zu können.

Bruchhagen hat bei der Bundesliga stets von einer zementierten Gesellschaft gesprochen; von einem Wettbewerb, dessen Ranking sich nach den Personalkostenetats gebildet hat; von Automatismen, die er im Vorfeld vorhersagen konnte.

Doch nun, in dieser wahnwitzigen Spielzeit 2010/11, ist alles anders, und dummerweise kann es ganz am Ende seinen Verein treffen, den er doch so vorbildlich zum Musterexemplar des Mittelstands gemacht hat. Selten schillernd und glänzend, aber anerkannt und etabliert. Schuldenfrei und meist aller Sorgen ledig. Das war einmal: Gelingt Eintracht Frankfurt heute gegen den 1. FC Köln kein Sieg, droht der direkte Abstieg, und damit würden auch die wertkonservativen Anschauungen Bruchhagens ins Wanken geraten.

Noch immer rätselt der Ostwestfale ja selbst, ob es richtig war, entgegen seinen Prinzipien mitten in der Saison den Trainer zu wechseln und ausgerechnet den umstrittenen Motivator Christoph Daum zu installieren. Die Talfahrt unter Michael Skibbe habe auch ihn ratlos gemacht, sagt Bruchhagen. Ihm bleibt aber derzeit nichts anderes übrig, als dem längst als Dampfplauderer enttarnten Daum den Rücken zu stärken. Sogar den Weggang von Identifikationsfigur Patrick Ochs zum Abstiegskonkurrenten VfL Wolfsburg zur Unzeit verteidigt er wortreich.

Denn Bruchhagen fürchtet um das große Ganze, um sein Lebenswerk. Er möchte selbst die Krise meistern, obwohl sein Vertrag nur für die Erste Liga gilt und der nach mehr Aufmerksamkeit dürstende Aufsichtsrat ohnehin seit Längerem einen Sportchef installieren will. Bruchhagen kämpft um seine Doppelfunktion als Vorstand und Manager: „Es wäre geradezu naiv, dass die Tatsache, dass ich keinen Vertrag für die Zweite Liga habe, dazu führt, dass ich die Eintracht verlasse.“ Doch steht auch er in der Schusslinie: Personalpolitik und Scouting waren bislang nicht besonders geschickt, die Verzahnung zum von der Fußball AG abgekoppelten Verein und damit zum Nachwuchssektor ist verbesserungswürdig, auf dem Multimediasektor oder bei der Teambetreuung liegt einiges im Argen. Seine Machtfülle macht Bruchhagen nun angreifbar.

Im Grunde würde er sich noch wünschen, dass alle Spieler schwarze Stollenschuhe tragen, sich montags am Kiosk den „Kicker“ kaufen und ohne Berater in sein Büro kommen – doch das sind realitätsfremde Wünsche. Gerne kramt er aus einer Schublade die Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus seiner aktiven Zeit aus den siebziger Jahren beim DJK Gütersloh hervor. Dass er Eintracht Frankfurt seit seinem Amtsantritt am 1. Dezember 2003 wieder in der Bundesliga etablierte, hat auch etwas von Fußball-Romantik. Dass nun vielleicht die Erfolgsgeschichte dort endet, wo sie begann, in der Zweiten Liga – dagegen wehrt er sich so tapfer wie gegen ein neues Handymodell.

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