Sport: Das umgedrehte Flugzeug
Wie funktioniert eigentlich ein Formel-1-Auto? Eine Erklärung am Beispiel von Michael Schumachers neuem Ferrari 248 F1
Am Sonntag beginnt die neue Formel-1-Saison. In Bahrain werden dann 22 Fahrer und rund eine Viertelmillion Einzelteile am Start stehen, denn ein Formel-1-Auto besteht aus etwa 11 000 Komponenten. Die meisten davon sind aus dem Wunderstoff Kohlefaser. Kein anderes Material ist so fest und hitzebeständig bei einem vergleichbar geringen Gewicht. Das ist wichtig, denn jedes Gramm zu viel erschwert die Jagd nach der schnellsten Runde. Deswegen erreichen alle Autos im Feld fast exakt das vorgeschriebene Mindestgewicht von 600 Kilo inklusive Fahrer und einer ausreichenden Menge Benzin. Die Diktatur der Masse gibt auch die Maße der Piloten vor, die bei einer Größe von rund 1,70 Meter im Schnitt nur 65 Kilogramm wiegen.
Aerodynamik
Im Grunde verhindern nur zwei verschiedene Komponenten, dass ein Formel-1- Auto bei 250 km/h nicht aus der Kurve rutscht: die Reifen und die Flügel. Während die Reifen durch direkten Straßenkontakt mechanischen Halt (Abtrieb oder Grip genannt) erzeugen, presst der vor allem von Front- und Heckflügel erzeugte aerodynamische Abtrieb das Auto mit Hilfe der vorbeiströmenden Luft auf die Strecke. Das funktioniert genau umgekehrt wie bei den Flügeln eines Flugzeugs. Durch diesen Effekt kommen Formel-1-Autos viel schneller durch Kurven als normale Autos und könnten ab Tempo 150 sogar theoretisch kopfüber an der Decke fahren. Für die Flügel gibt es bis zu 100 Einstellungsmöglichkeiten. Dabei gilt es, für jede Strecke den besten Kompromiss zu finden: Je steiler sie sind, desto mehr Grip bieten die Flügel in Kurven und verkürzen die Bremswege – verringern allerdings gleichzeitig auch das Tempo auf Geraden. Mindestens ebenso wichtig ist der für den Zuschauer unsichtbare Diffusor , ein System aus Luftleitkanälen am Unterboden, das den Heckbereich quasi auf die Straße saugt. Längst ist die Aerodynamik neben den Reifen zum entscheidenden Faktor geworden, wichtiger noch als die PS-Zahl. Über das ganze Auto verteilt findet man daher Zusatzflügel und Luftleitbleche , die den Luftstrom leiten sollen. Wenn ein Fahrer bei Höchstgeschwindigkeit vom Gas geht, wird das Auto durch den hohen Luftwiderstand sofort so stark langsamer, als würde man mit einem Pkw eine Vollbremsung durchführen. Die Aerodynamik leidet bereits, wenn der Luftstrom durch Wind oder Verwirbelungen des Vordermanns, die so genannte „Dirty Air“, leicht beeinträchtigt wird.
Motor
Seit dieser Saison treiben acht Zylinder (vorher zehn) und 2,4 Liter Hubraum (drei) den Boliden über die Strecke. Die verlorenen zwei Zylinder kosten etwa 200 PS, so dass die Motoren in diesem Jahr noch etwa 750 PS leisten werden. Ein wichtiger Faktor ist dabei die Anzahl der Umdrehungen pro Minute: Höhere Umdrehungszahlen bedeuten, dass mehr Luft aufgenommen werden kann, was den Verbrennungsprozess unterstützt, der die Kraft produziert. Die Luft wird durch die Airbox, ein Loch im Chassis hinter dem Fahrersitz, zugeführt; die Öffnungen an den Seitenkästen dienen zur Kühlung. Während ein Pkw auf knapp 6000 Umdrehungen pro Minute kommt, erreicht ein Formel-1-Motor bis zu 19 000. In weniger als fünf Sekunden beschleunigt er das Auto auf Tempo 200, die Höchstgeschwindigkeit dürfte in diesem Jahr bei 350 km/h liegen. Turbo- Maschinen, die Ende der Achtziger die 1000-PS-Grenze erreicht hatten, sind heute verboten. Außerdem muss ein Motor zwei Rennwochenenden halten, also rund 1500 Kilometer. Übrigens: Wenn der Fahrer das Auto auf der Strecke abwürgt, ist das Rennen für ihn vorbei. Der Motor kann nur mit einem speziellen Gerät von der Boxencrew wieder gestartet werden, denn im Auto gibt es keine Batterie. Sie wäre zu schwer.
Reifen
Die wichtigsten Teile des Autos. Während Verbesserungen bei Aerodynamik und Motor oftmals nur Tausendstel bringen, kann ein Reifen gleich Sekunden ausmachen. Die Teams können aus einer weicheren und einer härteren Mischung wählen. Weichere Reifen haften stärker, härtere halten der Abnutzung im Rennen aber länger stand. Ab dieser Saison ist das Wechseln der aus mehr als 220 Materialien bestehenden Reifen im Rennen wieder erlaubt. Die neuen Reifen werden in der Box mit Heizdecken vorgewärmt, damit sie schneller die optimale Haftungs-Temperatur von etwa 90 Grad erreichen. Ein Regenreifen funktioniert zwischen 40 und 50 Grad am besten – bei trockener Strecke würde er in kürzester Zeit überhitzen. Weil schon ein winziger Druckverlust der Reifen das Auto sofort bremst, sind sie mit Stickstoff statt mit Luft gefüllt – so bleibt der Druck auch unter größten Belastungen konstant. Die Längsrillen sind in der Formel 1 Pflicht; sie sollen den Grip reduzieren und die Kurvengeschwindigkeiten verringern. Da deswegen aber die Bedeutung der Aerodynamik gestiegen ist, können die Fahrer wegen der „Dirty Air“ nur schwer überholen. Ab kommender Saison wird es daher wieder profillose Reifen geben, so genannte Slicks, die maximalen Grip bieten. Dass die Räder freistehend sind, hat keinerlei aerodynamischen Grund (im Gegenteil verschlechtert dieser Umstand den Luftfluss). Es ist schlicht vorgeschrieben.
Bremsen
Auch bei den Bremsscheiben kommt Kohlefaser zum Einsatz, die nur ein Viertel so schwer ist wie der bei herkömmlichen Bremsen verwendete Stahl. Erst ab einer Temperatur von 650 Grad funktionieren die Bremsen optimal, im Extremfall werden sie 1200 Grad heiß. Bei einer Vollbremsung aus 200 km/h steht der Wagen schon nach 55 Metern in weniger als zwei Sekunden – ein Straßen-Sportwagen braucht mehr als 140 Meter. Bremskraftverstärker und ABS sind nicht erlaubt, der Pilot muss also jedes Mal etwa 80 Kilogramm mit seinem Bein stemmen.
Cockpit
Viel Platz hat der Pilot nicht: Der Innenraum ist am Lenkrad 45, an den Pedalen gerade 35 Zentimeter breit. Heiß ist es auch: Während eines Rennens herrscht im Cockpit eine Temperatur von etwa 50 Grad, in heißeren Regionen deutlich mehr. Kernstück des Cockpits ist das Monocoque, eine Überlebenszelle aus Kohlefaser, die stabil genug ist, selbst schwerste Unfälle unbeschadet zu überstehen. Es wird samt Sitz individuell an den Fahrer angepasst, dabei liegt der Pilot eher als er sitzt. Das dient der Gewichtsverteilung und der Aerodynamik des Autos, außerdem darf der Helm nicht die Luftzufuhr durch die Airbox behindern. Im Cockpit gibt es nur ein Gas- und ein Bremspedal, weil die Kupplung selten benötigt und daher per Hand betätigt wird. Viele Fahrer bremsen deswegen mit dem linken Fuß.
Elektronik
Etwa 150 Sensoren sind in einem Formel- 1-Auto installiert, allein 20 überwachen den Motor. Die Sensoren zeichnen während der Fahrt alle für relevant erachteten Daten auf, zum Beispiel, wann ein Fahrer beschleunigt, bremst und schaltet oder wie hoch die Temperatur der Bremsen oder der Kupplung ist. Alle Daten werden über die Antenne am Cockpit an die Box gesendet, noch während des Rennens ausgewertet und zum Beispiel in die Berechnung für den günstigsten Zeitpunkt zum Boxenstopp mit einbezogen. Pro Rennen und Auto kommt eine Datenmenge von bis zu einem Gigabyte zusammen. Außerdem unterstützt die Elektronik den Fahrer, indem sie beispielsweise die Gangwechsel ausführt und ein Überdrehen des Motors oder ein Durchdrehen der Räder beim Beschleunigen (Traktionskontrolle) verhindert. Seit ein paar Jahren dürfen Daten nur noch vom Auto an die Box gesendet werden und nicht mehr umgedreht, um Manipulationen zu verhindern.
Lenkrad
Zentralsteuereinheit wäre der passendere Begriff. Von hier aus kann der Pilot diverse Veränderungen an seinem Fahrzeug vornehmen. Über Drehknöpfe verteilt er beispielsweise die Bremskraft auf Vorder- und Hinterachse oder passt Traktionskontrolle, Differenzial und Benzin- Luft-Gemisch an. Per Daumendruck lässt sich auch Flüssigkeit über einen Schlauch zum Helm aufnehmen, der Geschwindigkeitsbegrenzer beim Boxenstopp einschalten oder Funkkontakt zum Team herstellen. Die Gänge werden durch Ziehen an zwei kleinen Schaltwippen links und rechts hinter dem Lenkrad gewechselt. Insgesamt muss der Fahrer mit bis zu 30 Knöpfen und Drehreglern und einem Display, das Rundenzeiten, Drehzahl und Geschwindigkeit anzeigt, zurechtkommen. Ach ja, lenken kann er mit dem Rad auch. Weil elektronische Fahrhilfen (mit Ausnahme der Traktionskontrolle und des Getriebes) verboten sind, wird er dabei lediglich von einer mechanischen Servolenkung unterstützt, die die benötigte Lenkkraft halbiert. Trotzdem wird der Pilot noch genug gefordert: Die Lenkbewegungen in einem Rennen kosten so viel Kraft, als wenn man in beiden ausgestreckten Armen je einen Ziegelstein halten würde. Und das fast zwei Stunden lang.
Tank
Die auslaufsichere Gummiblase verteilt sich um den Fahrersitz. Zum Schutz vor Feuer bei einem Unfall ist sie mit einer verformbaren und praktisch unbrennbaren Hülle umgeben und wird mit einem Feuerlöscher geschützt. Die Größe des Tanks ist nicht vorgeschrieben und ein gut gehütetes Geheimnis und hängt von der jeweiligen Rennphilosophie des Teams ab. Einige nutzen einen kleineren Tank, um das Rennen in mehrere Sprints zu unterteilen, andere versuchen, mit einem großen Tank möglichst wenige Boxenstopps einlegen zu müssen. In keinem Fall aber ist der Tank groß genug, um ein 300-Kilometer-Rennen am Stück absolvieren zu können, denn auf 100 Kilometern verbraucht ein Formel-1-Auto zirka 70 Liter bleifreies Benzin, das handelsüblichem Super entspricht. Der Tankinhalt wird von den Teams nicht in Litern, sondern in Kilogramm gemessen. Eine Formel-1-Faustregel besagt, dass ein Zusatzgewicht von zehn Kilogramm (das entspricht etwa 13 Litern Benzin und reicht für drei Runden) die Rundenzeit um 0,3 Sekunden erhöht.
Chassis
Die Außenhaut besteht zum größten Teil aus Kohlefaser. Die Länge des Chassis ist nicht vorgeschrieben, es darf aber höchstens 1,80 Meter breit sein. Insgesamt wiegt es rund 40 Kilogramm, obwohl es deutlich leichter sein könnte, aus Sicherheitsgründen aber nicht sein darf.
Getriebe
Weil automatische Getriebe verboten sind, kommen halbautomatische zum Einsatz. Die Fahrer ziehen nur an den Wippen am Lenkrad, den Rest des Gangwechsels erledigt aber die Elektronik für sie. Die Kupplung muss nur beim Losfahren betätigt werden. Während des Schaltens durch die je nach Team sechs oder sieben Gänge können die Fahrer voll auf dem Gas bleiben. Das Getriebe muss pro Rennen bis zu 3000 Gangwechsel und bis zu 1000 Grad ertragen – sicherheitshalber werden die Zahnräder deshalb nach jedem Grand Prix ausgetauscht. Das Getriebe wiegt 30 bis 40 Kilogramm. Auch hier gilt: Je kleiner und leichter, desto besser, denn das erhöht den Spielraum für Aerodynamik und Gewichtsverteilung im Heck.
Christian Hönicke