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Sport: Der alte Mann und der Ring

Thomas Ulrich verteidigt heute seinen Titel – und denkt schon an den nächsten Gegner: Graciano Rocchigiani

Berlin. Der dicke Mann draußen an der Fernstraße zieht alle Blicke auf sich. Die der ZDF-Kameramänner, der Fotografen und der Reporter sowieso, die im Autohaus an der Fernstraße warten. Jetzt, da der Dicke seine zweite Zigarette austritt, passiert das, worauf alle hoffen. Der Mann hebt den Daumen seiner linken Hand. Dieses Zeichen ist ausgemacht für den Fall, dass der Überraschungsgast tatsächlich anrollt.

Willkommen Graciano Rocchigiani. Willkommen im Autohaus Neumann in Erkner. Willkommen in der Zukunft.

Dass Rocchigiani überhaupt noch eine Zukunft hat, ist Teil einer groß angelegten Inszenierung. Sie erinnerte ein wenig an die vom Dienstagabend, als Dustin Hoffman im Maybach auf dem Gendarmenmarkt vorfuhr, um sich im Konzerthaus die Goldene Kamera für sein Lebenswerk abzuholen. Mit dem Unterschied allerdings, dass draußen in Erkner Graciano Rocchigiani vorbeischaut. Der Boxer hat zwar ein filmreifes Leben hinter sich, nur muss er seinen großen Preis erst noch gewinnen. Und das mit 39.

Vielleicht wird es so weit sein, wenn ihm das schriftliche Urteil des von ihm in New York gewonnenen Prozesses zugeht. Im Herbst 2002 hatte der Boxer während eines 14-tägigen Hafturlaubs seine Klage gegen das World Boxing Council gewonnen. Rocchigiani wurden 31 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen sowie die Rückgabe des WM-Titels, den er 1998 erkämpft hatte und der ihm kurz darauf vom WBC am grünen Tisch zu Unrecht genommen wurde. „Ich habe keine Ahnung, wie die zahlen. Aber ich denke schon, dass ich meinen Teil kriege. Die Kohle wird eher kleckerweise kommen“, sagte der frühere Weltmeister im September. Wenige Wochen nach seinem erfolgreichen Auftritt im New Yorker Distrikt-Gericht war Rocchigiani nach 279 Tagen Gefängnis wegen Fahrens ohne Führerschein und unter Alkoholeinfluss sowie Körperverletzung vorzeitig entlassen worden.

Nun also Erkner. Mit aus dem dunklen Jaguar krabbeln Gracianos Lebensgefährtin in hohen Schuhen und sein Bruder Ralf. Ausgedacht hat sich diesen Auftritt die Hamburger Universum Box-Promotion, bei der Thomas Ulrich unter Vertrag steht. Der 27-jährige Boxer aus Spandau muss zwar am heutigen Samstag seinen EM-Titel im Halbschwergewicht gegen einen Italiener verteidigen, weshalb er in Erkner ein öffentliches Training abhält. Doch im Mai oder Juni winkt ein Prestigekampf gegen Altmeister Rocchigiani. „Wir wollen den Kampf, und er wird kommen“, sagt Klaus-Peter Kohl, der Chef von Universum. Vor allem wird das ZDF jubeln, sollten sich diese beiden Boxer wirklich im Ring gegenüberstehen. „Dieses Duell verspricht ein Quotenhit zu werden“, sagt Peter Hanraths, der Technische Leiter der Universum Box-Promotion, die mit dem ZDF einen langfristigen Vertrag geschlossen hat.

Die Hoffnungen ruhen auf Ulrich. Der muss aber erst noch den Beweis antreten, dass er die großen Hallen füllen und viele Millionen Menschen vor die Fernseher locken kann. Und was taugt da mehr als ein Duell zweier Berliner, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Auf der einen Seite der große Blonde mit den blauen Augen im makellosen Gesicht – und da Rocchigiani, ergraut und gezeichnet von 47 Kämpfen, ein Mann, der auch sonst schwere Zeiten hinter sich hat bringen müssen. Einige davon im Knast.

Für ihren Besuch beim Pressetraining von Ulrich haben sich beide Rocchigianis in Army-Tarnjacken gehüllt. Jetzt bloß in Deckung bleiben und keine Fehler machen. Viele Chancen hat Graciano nicht mehr. „Ich will noch ein, zwei Kämpfe machen, dann ist Schluss“, sagt er. „Ich bereite mich auf den Kampf gegen Ulrich vor.“ Das tut er in Duisburg-Rheinhausen, der Geburtsstadt der Rocchigianis. Im Gefängnis „hat er fast jeden Tag trainiert“, erzählt Bruder Ralf, „nur mit dem Laufen war es schwer.“ Seinen letzten Kampf bestritt Graciano vor exakt zwei Jahren in Berlin. Rocchigiani mühte sich gegen den Kanadier Willard Lewis zu einem wenig spektakulären Sieg, der von Pfiffen begleitet worden war. Vielleicht mag er auch deshalb gegen Ulrich nicht in Berlin boxen. „Wir denken an Oberhausen oder Köln.“ Es sei denn, Universum ginge mit dem Kampf in die Waldbühne.

„Thomas Ulrich wäre ein guter Gegner“, sagt Graciano. „Er ist ein talentierter Boxer, der hauen kann.“ Und auch Ulrich zeigt sich nicht abgeneigt. „Es ist eine Ehre für mich, gegen Rocky zu boxen. Aber erst einmal muss ich am Sonnabend gewinnen.“

Und dann gibt es noch eine andere Kleinigkeit zu klären – das Geld. Die Börse von Rocchigiani soll sich auf 1,2 Millionen Euro belaufen, die von Ulrich auf 600 000. Das aber ist dem 27-Jährigen zu wenig. Eine Forderung, die sein Manager Klaus-Peter Kohl gar nicht gern hörte: „Thomas kann sich über Rocky einen noch größeren Namen machen. Wenn Rocky seinen WM-Titel zurückbekommt, kann er sogar Weltmeister werden. Das ist eine Riesenchance“, sagt Kohl. „Dafür müsste er umsonst boxen.“

Ganz so ist es aber auch wieder nicht. Unabhängig davon, ob es um einen WM-Titel gehen wird – Ulrich kann nicht viel gewinnen. Sollte er Rocchigiani schlagen, wird es heißen, na seht ihr, Rocky ist ein alter Mann. Sollte Rocchigiani gewinnen, wird es heißen: Wir haben es doch immer gewusst, aus dem Ulrich wird keiner.

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