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Betrug im Sport: Der Kampf gegen Doping ist tot

Jahrzehntelang hielt der Kampf gegen Doping die Sportwelt in Atem. Doch inzwischen langweilt er das Publikum. Das bleibt nicht ohne Folgen. Und die Betrüger kommen immer noch reihenweise davon – ein Nachruf auf die Dopingbekämpfung.

Kurz vor dem Jahreswechsel hat einer der berühmtesten Sportler der Geschichte einen runden Geburtstag gefeiert. Ben Johnson wurde 50. Der verlorene Sohn der Olympischen Spiele. Zum Geburtstag hätte sich das IOC, das Internationale Olympische Komitee, durchaus bei ihm bedanken können. Dafür, dass der Kanadier die Rolle des Sündenbocks übernommen hat. Auf ihm und seinen Muskelgebirgen ließ sich bequem alle Dopingschuld abladen.

Bis heute hat Johnson das Zeug zum Schocker. Er gilt seit seiner aberkannten Goldmedaille von 1988 als Symbolfigur für das Wettrüsten der Körper. Der Jamaikaner Usain Bolt braucht inzwischen für 100 Meter zwei Zehntelsekunden weniger als der gedopte Ben Johnson. Wenn Bolt in diesem August nach einem Olympiasieg in London als Doper enttarnt würde, wen würde das noch überraschen?

In den 24 Jahren zwischen Johnson und dem – vielleicht ja sauberen – Bolt ist die Dopingbekämpfung erst zu einem gigantischen Begleiter des Sports herangewachsen. Immer wieder hat sie den Eindruck erweckt, kurz vor dem Durchbruch zu stehen. Sich mit den Betrügern auf Augenhöhe messen zu können. Doch das war nichts als eine Illusion. Die aufgetürmten Erwartungen brechen nun in sich zusammen. Und die Dopingbekämpfung ringt darum, überhaupt noch beachtet zu werden. Zeit für einen Nachruf.

Betrogen wird schon, solange es Sport gibt. Doch weil Verbände und Firmen den Sport auch vermarkten wollen als Ort des fairen Wettbewerbs, als Teil einer besseren Welt, müssen sie sich vom Zirkus abgrenzen. Dafür entwickelten sie die Dopingbekämpfung. Sie hielt die Welt des Sports mit ihren Enthüllungsgeschichten immerhin mehrere Jahrzehnte in Atem.

In den Siebzigerjahren wurde das Thema Doping öffentlich. Anabolika fanden reißenden Absatz. Auf staatliche Anordnung in den sozialistischen Staaten des Ostens, auf private Initiative in den kapitalistischen Ländern des Westens. Der Wettkampf der Systeme förderte den Betrug. Dem sahen die Sportverbände anfangs teils hilflos, teils gleichgültig zu. Erst in den Achtzigerjahren nahmen sie mit den Trainingskontrollen ein erstes wirksames Gegenmittel in die Hand. Doch das Netz blieb durchlässig.

Der Fall Johnson führte das Problem 1988 der Weltöffentlichkeit vor Augen. Während das IOC ihn bei den Spielen in Seoul aus dem Verkehr zog, ließ es andere weiterlaufen. Auch Athleten aus jenem legendären 100-Meter-Finale wie Carl Lewis, die nicht weniger schuldig waren als Johnson. So blieb der Anschein, dass Doping nur die Verfehlung einzelner ist.

Ansonsten wurde eifrig weiter gedopt, auch nachdem der eiserne Vorhang zerrissen und der staatliche Dopingauftrag weggefallen war. Unterdessen kamen nicht mehr nur Anabolika und Aufputschmittel zum Einsatz. Das ausdauerfördernde Erythropoetin, kurz Epo, geriet im Radsport zur Grundversorgung. Der Festina-Skandal 1998 offenbarte das System hinter dem Betrug. Dass Ärzte, Trainer, Sportler, Funktionäre unter einer Decke stecken.

Angesichts solcher Skandale wollten die Sportverbände zum Gegenschlag ausholen. Dafür bekamen sie Unterstützung von Regierungen. Mehrere Länder hatten Gesetze gegen Sportbetrug eingerichtet. Mit staatlicher Unterstützung gründeten die Sportverbände 1999 auch ihre eigene Behörde zur Betrugsbekämpfung, die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Jahr für Jahr stockte die Wada ihr Arsenal auf und schrieb es in einem Code fest. Es entstand ein Kontrollsystem, das von Athleten beinahe rund um die Uhr Urin und Blut einfordern kann. Wer sich diesem Kontrollsystem nicht unterwirft, darf nicht starten. Auch die Umkehr der Beweislast muss der Athlet akzeptieren, also bei einem positiven Dopingtest selbst beweisen, dass die Substanz ohne Verschulden in seinen Körper gelangt ist.

Warum der Fall Pechstein ein Rückschritt war

Die Ableger der Wada sind die Nadas, die nationalen Agenturen, und die deutsche Nada verkündete einmal selbstbewusst, sie sei neben Deutschem Olympischen Sportbund und Sporthilfe die dritte Säule des deutschen Sports. Die Dopingjäger wirkten stark, die Debatte erschien lebendig. Wie weit der Staat gehen soll, ob er schon den Besitz von kleinen Dopingmengen verfolgen soll, war eines der bisher am leidenschaftlichsten diskutierten Themen der deutschen Sportpolitik.

Skandale erhöhten die Aufmerksamkeit. Etwa der um das kalifornische Balco-Labor 2003. Das hatte einfach die Molekülstruktur eines Anabolikums verändert. So konnten Athleten wie die amerikanische Sprint-Olympiasiegerin Marion Jones jahrelang gedopt durch die Stadien der Welt laufen. Eine Niederlage für das Kontrollsystem. Doch die Sportverbände versuchten, daraus noch Kapital zu schlagen und forderten die Unterstützung von Staaten an. Mit Hilfe von Polizisten wurden bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin Sportler aus Österreicher überführt, die in keinem Dopingtest aufgefallen wären. Auch andere Fälle wie der um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes wurden nicht vom Sport aufgedeckt. Die Polizei hatte Telefone abgehört und Häuser durchsucht.

Wieder schien eine neue Stufe der Dopingbekämpfung erreicht. Doch das Problem blieb. Dass die Betrüger den Fahndern einen Schritt voraus sind. Weil sie zum Beispiel mit kleinsten Mengen manipulieren und so unter der Nachweisgrenze bleiben. Oder mit körpereigenen Substanzen, mit eigenem Blut. Eigenblutdoping ist bis heute nicht nachweisbar.

Doch die Sportverbände wollten sich bei weitem nicht geschlagen geben und zündeten die nächste Stufe in dieser Auseinandersetzung. Noch einmal wuchsen Hoffnungen und Erwartungen. Wenn der direkte Nachweis des Betrugs kaum möglich ist, dann eben der indirekte. Über einzelne Blutparameter. Blutpass lautete das Zauberwort. Verbände begannen, fleißig die Blutwerte ihrer Athleten zu sammeln. Mit Langzeitprofilen wollten sie die Übeltäter überführen. Dem Internationalen Eislauf-Verband schien dabei ein dicker Fisch ins Netz gegangen zu sein: Claudia Pechstein, fünfmalige Olympiasiegerin. Ihre Werte schwankten auffällig.

Ihr Fall landete vor dem höchsten Sportschiedsgericht, IOC-Präsident Jacques Rogge nannte ihn einen „Lackmustest“. Andere Sportverbände schienen bereit, Athleten in Mannschaftsstärke anzuklagen, wenn dieser Präzedenzfall durchginge. In der Tat wurde Pechstein wegen Dopings gesperrt. Es passierte – nichts.

Das heißt, es geschah doch etwas. Der Fall warf die Dopingbekämpfung zurück. Mehrere Koryphäen der Blutforschung bescheinigten Pechstein, dass ihre Werte mit einer vererbten Anomalie zu erklären sind. Sie zeigten so, dass Blutbilder manchmal zu komplex sind, um aus ihnen zweifelsfrei Manipulation abzulesen. Die Wissenschaft führte den Sport vor. Überhaupt: Muss künftig jeder Athlet auch seine genetischen Daten zur Verfügung stellen, um seine Unschuld zu beweisen?

Der Kampf gegen Doping prallte hier krachend an eine Grenze. Es ist nur eine von vielen. Eine andere betrifft ebenfalls Freiheitsrechte. Spitzenathleten müssen für jeden Tag eine Stunde angeben, in der sie der Kontrolleur erreichen kann. Auch sonst können die Kontrolleure jederzeit klingeln. Das erscheint auch nötig, weil einige verbotene Substanzen nur wenige Stunden nachweisbar sind. Um jederzeit auffindbar zu sein, müssten die Sportler eigentlich eine elektronische Fußfessel tragen. Spätestens da hört es auf.

Um Doping wenigstens etwas besser und länger nachweisen zu können, wäre viel Geld für die Forschung nötig. Der frühere Leichtathletik-Bundestrainer Jürgen Mallow forderte einst, die Bundesregierung solle doch einmal zehn Millionen Euro in die Dopingforschung stecken. Das sei auch Sportförderung. Denn wenn die Forschungsergebnisse weltweit angewendet werden, hätten deutsche Athleten mehr Chancengleichheit.

Im Moment ist das Gegenteil zu beobachten. Das Bundesinnenministerium wird seinen Zuschuss zur Nada 2013 wohl um eine Million Euro reduzieren. Man muss den Innenminister dafür nicht einmal kritisieren. Denn bisher kam der Großteil des Geldes für die Nada aus seinem Haus. Im Februar hat Minister Hans-Peter Friedrich zu einem runden Tisch zur Finanzierung der Nada eingeladen. „Tacheles reden“ wolle er da, Wirtschaft und Bundesländer erinnern, dass auch sie ihren Teil beizutragen haben. Jahrelang haben nur wenige Firmen der Nada Geld gegeben. Obwohl ihre Arbeit populär war. Warum sollen sie jetzt auf einmal Geld spendieren, da das Thema die Öffentlichkeit nur noch langweilt?

Wenn die Mutanten kommen

Längst haben sich viele damit arrangiert, dass es Betrüger gibt und Betrogene. Ein Dopingfall führt nicht mehr zum Aufschrei. Kommt eben vor, und wenn ein gedopter Sportler aus einem ärmeren Land mit der Siegprämie seine ganze Familie ernährt, hat das beinahe etwas Legitimes. Auch die staatliche Verfolgung der Doper lahmt, der Staat hat Wichtigeres zu tun, als Polizisten Sporttaschen nach Spritzen und Pillen durchwühlen zu lassen.

Es hat sich ohnehin ein funktionales Gleichgewichtig gebildet. Es werden Sportler überführt, aber nicht zu viele. „Die Sportverbände verkaufen ein kombiniertes Produkt: Höchstleistung plus ehrlicher Sport. Wenn die Höchstleistung nicht mehr da ist, verliert das Publikum das Interesse, wenn die Regeltreue aufhört, ebenfalls“, sagt Eike Emrich, Sportsoziologe an der Universität Saarbrücken. „Die Verbände brauchen also ein Kontrollsystem, dass so viele Doper erwischt, dass das Publikum noch an die saubere Leistung glaubt, aber auch eines, in dem dopende Höchstleistungen möglich sind.“

Das scheint gerade der Fall zu sein. Auch bei Olympia in London wird das IOC wieder das bisher beste, effektivste, teuerste Kontrollsystem ankündigen. Eine Nebelkerze wie so viele zuvor. Die Dopingsaison ist dann schon gelaufen. Eike Emrich hat hochgerechnet, dass 90 Prozent der Doper weltweit unentdeckt bleiben.

Auch ein anderes Mittel gegen Doping verfügt nicht über die magische Wirkung, die ihr die Verbände gerne zuschreiben: die Prävention. Teure Kampagnen wurden aufgelegt, um junge Sportler gegen Doping zu immunisieren. Aber es ist erwiesen, dass solche Kampagnen oft ins Leere laufen und nur Menschen mit emotionaler Bindung wie Eltern, Geschwister und Freunde nachhaltig auf die jungen Athleten Einfluss nehmen können.

So siecht die Dopingbekämpfung mit ihrem hehren Motiv des fairen, gesunden, chancengleichen Sports vor sich hin. Sie muss den längst verlorenen Posten halten, weil eine Dopingfreigabe den Sport in seiner jetzigen Form abschaffen würde.

„Die Gesellschaft arbeitet sich in Wellen mit großen Themen am Sport ab“, sagt Emrich. Erst war es die Kommerzialisierung. Die nächste Empörungswelle betraf Doping. Jetzt wird sie abgelöst von Manipulation und Korruption. Ein verschobenes Fußballspiel und eine korrupt vergebene Fußball-WM an Katar, das sind die neuen Krimi-Bestseller des Sports.

Und jetzt? Wird die Dopingbekämpfung wohl in der Bedeutungslosigkeit begraben. Wie soll sie auch belebt werden, wenn zu wenig Geld da ist und kein Interesse? Wenn nichts an der resignierenden Erkenntnis vorbeiführt, dass der Abstand zwischen Fahndern und Tätern seit den Achtzigerjahren nicht wesentlich geringer geworden ist, trotz mancher Anstrengungen der Fahnder und Labore und obwohl das Kontrollsystem den Athleten inzwischen so viel zumutet.

Drei Szenarien könnten etwas verändern. Zum einen eine Summe von Dopingfällen im Fußball. Der Fußball hat das Dopingproblem bisher unbeschadet überstanden. Kein Wunder, bei seinen lückenhaften Kontrollen. Emrich glaubt jedoch nicht an eine Dopingseuche in der beliebtesten aller Sportarten. Das Risiko für den einzelnen sei zu groß, der Nutzen zu gering. Schließlich habe es auch ein Spieler mit Bauchansatz wie Diego Maradona zum Weltmeister gebracht. Dass Maradona bei der WM 1994 des Dopings überführt wurde, ist eine andere Geschichte.

Für wahrscheinlicher hält Emrich ein zweites Szenario: „Wenn genetische Manipulation zur Leistungssteigerung eingesetzt wird, wir also eine Art Monsterzüchtung im Sport haben, könnte die Dopingdebatte neu entflammen.“ Wenn also Mutanten die Medaillen unter sich ausmachen.

Szenario drei ist noch makabrer: mehrere Todesfälle durch Doping. Es hat sie schon gegeben, allerdings in gewissem Abstand. Das Publikum hatte Zeit, sich wieder zu beruhigen. Radfahrer Tom Simpson starb 1967 bei der Tour de France, die Leichtathletin Birgit Dressel 1987. Bei vielen anderen Todesfällen gibt es einen Verdacht, nur ist der Zusammenhang zum Doping kaum zweifelsfrei herstellbar.

Die Dopingbekämpfung verliert gerade ihre Zukunft – und behält ihre Vergangenheit. Jan Ullrich hat seine Radsportkarriere schon vor fünf Jahren beendet. Der Rechtsstreit um seine Blutmanipulation läuft immer noch. So bleibt Doping und der Kampf dagegen als Erzählstoff erhalten. Als Sagen von gefallenen Helden aus einer scheinbar vergangenen Zeit.

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