zum Hauptinhalt

Sport: Der Kapitän probt den Aufstand

Vor dem Duell mit Prag muss sich Hertha-Trainer Jürgen Röber als Psychologe beweisenKlaus Rocca Christoph Daum nahm seinen Kollegen zur Seite und sprach ihm Trost zu. Der Alex Alves, so Daum, der komme noch groß raus.

Vor dem Duell mit Prag muss sich Hertha-Trainer Jürgen Röber als Psychologe beweisenKlaus Rocca

Christoph Daum nahm seinen Kollegen zur Seite und sprach ihm Trost zu. Der Alex Alves, so Daum, der komme noch groß raus. Auch Emerson habe anfangs kein Bein auf den Boden bekommen. Jürgen Röber nickte. Und hofft weiter. Auf jenen Tag, an dem beim teuersten Einkauf der Vereinsgeschichte der Durchbruch kommt. Auch in Leverkusen war die Hoffnung vergeblich. Zweifel, ob da der falsche Mann geholt wurde, lässt Herthas Trainer gar nicht erst aufkommen: "Wer in Brasilien Torschützenkönig wird, der ist ein Großer." Wenn es der Alves mal endlich beweisen würde. Diesmal hatte er noch zusätzlich am dritten Gegentor beträchtliche Schuld.

Doch derzeit ist weniger Alves das Problem für Röber, weit mehr Kjetil-André Rekdal. Ausgerechnet der Mannschaftskapitän, sein verlängerter Arm. Der musste in der BayArena schon nach 27 Minuten das Feld räumen. "Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mannschaftskapitän so früh ausgewechselt wurde", zürnte der Norweger auch gestern noch. Ahnend, dass die Sache mit der Vertragsverlängerung wohl nichts wird. Und dass seine Abstrafung die Europameisterschafts-Aktie nicht gerade in die Höhe treibt.

Röbers Begründungen für den Wechsel klingen plausibel. "Kjetil hatte Glück, dass er bei seinem Foul nur die Gelbe Karte gesehen hat. Ich hatte das Gefühl, dass der Schiedsrichter selbst nicht sicher war, ob der von den Fans geforderte Feldverweis nicht eher angebracht gewesen wäre." Ein weiteres Foul, und Edgar Steinborn hätte vielleicht Gelb-Rot gezückt. "Ich bin noch nie des Feldes verwiesen worden", beharrt Rekdal. Irgendwann ist immer das erste Mal.

Doch des Trainers Triebfeder war nicht nur die Angst vor der Dezimierung ("Gegen die aufgedrehten Leverkusener wären wir dann wohl völlig eingebrochen"), er war ganz einfach unzufrieden mit der Leistung seines Liberos. Ein Spieler, der 80-mal für sein Land gespielt habe, "muss den Laden hinten zusammenhalten". Das tat Rekdal nicht nur nicht, er hatte zudem besonders am zweiten Gegentor (neben Eyjölfur Sverrisson und Dick van Burik) eine beträchtliche Mitschuld. Und die Defizite häufen sich. Erinnert sei nur an Bremen, wo Rekdal gar an drei Gegentreffern unfreiwillig Anteil hatte.

Überhaupt: die Gegentreffer. 1:3 in München, 1:5 in Hamburg, 0:4 in Dortmund und Frankfurt, 1:4 in Bremen, 1:3 in Leverkusen - herbe Schlappen. Nach dem 22. Spieltag stehen 36 kassierte Tore zu Buche, in der Vorsaison waren es zum gleichen Zeitpunkt lediglich 20. Die Ursachenforschung fällt schwer. Röber: "Da spielt sich wohl im Kopf einiges ab, so dass die Nerven plötzlich flattern." Bei so gestandenen Profis wie Rekdal, Eyjölfur Sverrisson (beide 31 Jahre) und Hendrik Herzog (fast 31), in einer Abwehr, in der Dick van Burik mit seinen 26 Jahren der Jüngste ist?

Rekdal will es, aus seiner Sicht verständlich, nicht nur an individuellen Deckungsfehlern festmachen. Er spricht von einer "Kollektivschuld", bezieht dabei die gesamte Mannschaft ein. Wohl zu Recht. Wenn im Mittelfeld oder gar im Angriff der Ball nicht gehalten und damit in der Sturm- und Drangperiode des Gegners nicht für Ruhe in den eigenen Reihen gesorgt werden kann, dann steht eben die Deckung permanent unter Druck. Und dann häufen sich die Fehler. Dann können sich auch die Leverkusener "in einen Rausch spielen" (Röber).

Welch ein Potenzial hat diese Bayer-Elf. Im wahrsten Sinne des Wortes spielend verkraftete sie den Ausfall ihrer Stammakteure Adam Matysek und Jens Nowotny, ließ sich auch durch den schweren Fehler ihres Ersatztorhüters Frank Juric beim 0:1 nicht aus der Ruhe bringen. Da wirkten die Herthaner an Röbers einstiger Wirkungsstätte wie Schüler. Die Lektion war bitter. Hoffentlich auch hilfreich.

Röber ist nun als Psychologe gefragt. Gestern, beim Training, machte er erste Versuche, die Schlappe aus den Köpfen der Spieler zu verdrängen. "Wir haben ja gar keine Zeit, lange zu lamentieren", meinte Röber im Hinblick auf das Champions-League-Spiel am Mittwoch gegen Prag. Ob Kjetil Rekdal dann dabei ist? "Ich weiß es selbst nicht. Derzeit ist alles möglich." Der gereizte Unterton war unüberhörbar.

Klaus Rocca

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false