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Sport: Der leise Jubel

Dortmunds Trainer Matthias Sammer ist nach dem 4:2-Sieg in Wolfsburg erleichtert – doch viele Probleme sind ungelöst

Wolfsburg. Matthias Sammer hatte weder nach dem Ausgleich noch beim Führungstor gejubelt. Als sich seine Spieler schreiend in den Armen lagen, blieb der Trainer von Borussia Dortmund so verspannt an der Seitenlinie sitzen, als habe er sich beim Ausladen der Materialkisten aus dem Mannschaftsbus verhoben. Es ging um viel für ihn; vielleicht sogar um seinen Job. Zwar antwortete Sammer nach dem 4:2-Sieg beim VfL Wolfsburg professionell und ruhig auf die Fragen, aber in kleiner Runde maulte er dann doch zynisch, dass „einer am Mast hängen würde, hätten wir heute nicht gewonnen“. Sammer ging nicht weiter ins Detail, aber es war klar, wen er mit der Aussage meinte: sich selbst.

In den Stunden zuvor hatte sich die Dortmunder Geschäftsführung um Manager Michael Meier und Präsident Gerd Niebaum sehnlichst gewünscht, dass der Trainer auch bei einer Niederlage nicht in Frage gestellt werde. Dessen Vertrag laufe bis 2006, „und vorher existiert dieses Thema nicht“, sagte Niebaum. Doch zeitgleich kündigten die BVB-Fans einen Protest in Wolfsburg an und außerdem völlige Stille im Stadion. Im Gästeblock hing nur ein Transparent: „Versager“. Schlechte Stimmung war vorhanden.

Während Sportdirektor Michael Zorc dieses Thema nach dem Abpfiff herunterspielte und lapidar sagte, dass sich „bei den Fans was angestaut hat, was halt raus musste“, schimpfte Sammer über das generelle Dortmunder Dilemma. Als Versager würden sie beschimpft – „dabei haben wir noch immer acht verletzte Spieler. Das ist nun einmal eine Schwächung.“ Zumal auch Tomas Rosicky in Wolfsburg gesperrt war. Dass der Boulevard in der jetzigen Situation so viel Unruhe produziere, „entbehrt jeder sachlichen Grundlage“. Auf die Probleme habe er schon im Oktober hingewiesen. Irgendwann würden die gesunden Spieler erschöpft und die zurückkehrenden Profis nicht fit sein. „Aber da hieß es nur: Sammer jammert.“

Die BVB-Fans im Oberring hatten sich anfangs für den Trainer stark gemacht und auf eine Papierrolle „Sammer – du bist der beste Mann beim BVB“ gemalt. Aber als die Wolfsburger in Führung gingen, war auch dieses Transparent nicht mehr zu sehen. Dortmund drohte die nächste Niederlage. Das achte Spiel ohne Sieg.

Kurz vor der Halbzeit drehten die Dortmunder das Spiel. Zwei Tore in drei Minuten, 2:1 stand es zur Pause – „die Schlüsselszene“, sagte der Wolfsburger Trainer Jürgen Röber. Immer besser kamen die Dortmunder ins Spiel und bauten die Führung auf 4:1 aus. Ein „gewaltiger Fortschritt“ gegenüber den vergangenen Wochen sei das Spiel seiner Mannschaft gewesen, sagte Sammer. „Und ich kann nicht verhehlen, dass der Sieg nicht ganz unwichtig war.“ Als Sammer diesen Satz sagte, lächelte er kurz.

Vieles liegt noch im Argen, nicht innerhalb der Mannschaft, die intakt sein soll, sondern vielmehr im Verhältnis zu den Fans, deren Ansprüche höher sind. Als Sportdirektor Michael Zorc gefragt wurde, ob es nun aufwärts gehe, zischte er zurück: „Wir haben unser Saisonziel korrigiert und werden das nicht alle drei Stunden wieder ändern.“ Uefa-Cup statt Champions League. Nach dem Sieg in Wolfsburg ist der BVB Sechster , zwei Punkte hinter dem VfL Bochum. In einer Woche spielt Dortmund bei 1860 München.

Nach dem Abpfiff waren die Dortmunder Spieler zu den Fans gelaufen und hatten sich bedankt. Die Spieler hatten wahrscheinlich gedacht, die Fans würden das große „Versager“-Plakat entfernen, doch die Fans ließen es am Zaun hängen. „Wir haben mal wieder ein Spiel gewonnen, nicht viel mehr“, sagte der Dortmunder Nationalspieler Sebastian Kehl, als er in die Kabine lief. „Aber wir haben noch lange nicht alles zurückerarbeitet, was wir an Kredit verspielt haben. Der harte Kern wird skeptisch bleiben.“

André Görke

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