Sport: Die Kraft des Schmächtigen
In Dortmund verkümmert, in London gereift: Tomas Rosicky führt die Tschechen heute als Kapitän
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Das schöne Prag endet an der Cechuv Most, der eleganten Jugendstilbrücke, die die Altstadt vom Arbeiterviertel Letna trennt. Hinter einem Wäldchen signalisiert die Europastraße 48 mit viel Blech und Lärm, dass es vorbei ist mit engen Gassen und denkmalgeschützten Häusern. Oben auf einem Hügel, eingezwängt zwischen grauen Häuserblocks aus den Sechzigern und der Eisenbahntrasse Richtung Dresden, liegt das Stadion des AC Sparta. Tomas Rosicky ist hier aufgewachsen. Schon als Achtjähriger hat er für Sparta gespielt, im baufälligen Letna-Stadion.
Es hat sich einiges verändert, seitdem Rosicky seine Heimat im Januar 2001 in Richtung Dortmund verlassen hat. Mit der 25 Millionen D-Mark schweren Ablösesumme hat sich der Verein saniert. Vor vier Jahren haben sie die Laufbahn rausgerissen, das Stadion saniert und umgetauft in Toyota-Arena. 20 000 Zuschauer passen rein, und die werden mehr Lärm machen als die Autos auf der E 48, wenn Tschechien heute in der EM-Qualifikation gegen Deutschland spielt. Wer den Vergleich zwischen damals und heute auf das Äußerliche reduziert, wird Tomas Rosicky als die einzige Konstante sehen. Er ist immer noch so schmächtig wie früher im Sparta-Trikot, 1,79 Meter groß, 68 Kilo schwer, und man fragt sich, woher er die Kraft nimmt für seine gewaltigen Fernschüsse, die kraftraubenden Dribblings und Zweikämpfe mit Gegenspielern, die einen Kopf größer sind und doppelt so breit. 26 Jahre ist er jetzt alt und einer der besten Fußballspieler Europas. Längst ist Rosicky größere Stadien gewöhnt als das auf dem Hügel über der Moldau. Fünfeinhalb Jahre lang hat er vor 80 000 Fans im Dortmunder Westfalenstadion gespielt, und auch das Londoner Emirates-Stadium, in dem er seit dieser Saison mit dem FC Arsenal auftritt, ist mit 60 000 Zuschauern immer ausverkauft.
Die Stimmung in London ist bescheiden, verglichen mit der in Dortmund. Arsenals Publikum ist traditionell eher zurückhaltend. Die älteren Arsenal-Spieler, die im alten Highbury-Stadium groß geworden sind, maulen schon mal über die sterile Atmosphäre, aber für Rosicky ist jedes Spiel dort ein Fest. „Ich muss mich bei meinem Trainer Arsène Wenger bedanken, dass er mich zu so einem großartigen Verein geholt hat. Ich weiß nicht, wo ich jetzt wäre, wenn ich noch in Dortmund spielen würde“, hat er vor ein paar Wochen gesagt, nach seinem ersten Tor in der Premier League. Es war ein wichtiges Tor, kurz vor Schluss zum 2:1 über Wigan Athletic, erzielt mit einem Kopfstoß. Die Tschechen sagen, der Spieler Rosicky sei bei Arsenal endlich erwachsen geworden.
Noch bei der WM im vergangenen Sommer in Deutschland hat sein Kollege Peter Cech den tschechischen Journalisten erzählt: „Ha, ihr solltet Tomas mal ohne Trikot sehen.“ Details mochte der Torhüter nicht preisgeben, nur so viel: „Ein Fußballspieler sieht anders aus.“ Es war nach dem 3:0 der Tschechen über die USA, und Cech wollte sich nicht lustig machen über den kleinen Kollegen, sondern, ganz im Gegenteil, dessen überragendes Talent herausstellen. Zwei Tore hatte Rosicky erzielt, und viel sprach dafür, dass er einer der ganz großen Stars dieser WM werden könnte. Nach zwei Niederlagen gegen Ghana und Italien aber war das Turnier für die Tschechen schon nach der Vorrunde beendet. Der so großartig veranlagte Fußballspieler Rosicky hatte mal wieder mehr versprochen, als er halten konnte. Und viele Kritiker mutmaßten, er werde sich nicht durchsetzen im Norden Londons, wo er das zurückgetretene Arsenal-Idol Dennis Bergkamp ersetzen sollte. Sie haben sich geirrt. Der Ein-Kontakt-Fußball, den Arsène Wenger im Emirates-Stadium zum Maß aller Dinge erhoben hat, kommt seinen überragenden technischen Fähigkeiten und seiner Auffassungsgabe entgegen. Rosicky steckte auch eine Kniesehnenverletzung weg, die ihn Ende des Jahres neun Spiele verpassen ließ. Sein größtes Spiel machte er im FA-Cup, als ihm beim 3:1 gegen den FC Liverpool zwei Tore gelangen. Die englischen Zeitungen schwärmten, Rosicky sei vielleicht kein großer Torschütze, aber er schieße die großen Tore. Daheim hat man ohnehin nie an ihm gezweifelt. Nationaltrainer Karel Brückner nennt Rosicky „ein Wunder auf zwei Beinen“ und bestimmte ihn wie selbstverständlich zum neuen Kapitän, als Pavel Nedved nach der WM zurücktrat. Vor ein paar Wochen wählten ihn die Tschechen zu ihrem Fußballspieler des Jahres. Rechtzeitig zum Spiel gegen Deutschland hat er eine Leistenzerrung auskuriert.
Natürlich ist dieses Spiel ein besonderes für Rosicky. Nicht nur, weil es gegen seinen Arsenal-Kollegen Jens Lehmann geht, mit dem er auch schon in Dortmund zusammengespielt hat. Rosicky hat sich in Deutschland nie richtig gewürdigt gefühlt. Er wollte in einer europäischen Spitzenmannschaft spielen, aber die Borussia war ein Krisenunternehmen. Ein Star nach dem anderen verließ Dortmund. Das konnte nicht gut gehen, es ging nicht gut, und ihre Wut darüber ließen die Fans vor allem an Rosicky aus. Vielleicht war es Phlegma, vielleicht war der Prager Künstler auch einfach zu sensibel für ein Umfeld, in dem es über Jahre vor allem um Schulden und sinkende Aktienkurse ging und das Publikum monatelang über „Scheiß-Millionäre“ schimpfte. Auf dem Platz sah es manchmal so aus, als sei Rosicky um sich herum alles egal. Das kam nicht gut an in Dortmund, wo Fußball schon immer mehr Arbeit als Kunst war.
Dortmund hat nicht getrauert um Rosicky. Immerhin hat er der Borussia mit seiner Ablösesumme das wirtschaftliche Überleben garantiert. Beide Seiten nennen keine Zahlen, aber die im Raum stehende Summe von zehn Millionen Euro wird nirgendwo dementiert. Rosicky sagt wenig über die Bundesliga. Er vermisst sie nicht. „Ich habe da ein paar Jahre gespielt, aber Heimat war Dortmund nie.“ Im September vergangenen Jahres kam er zum Champions-League-Spiel beim Hamburger SV zurück nach Deutschland und grüßte auf seine Weise. Mit einem Gewaltschuss aus 25 Metern zum 1:0-Siegtreffer. So etwas erwarten sie auch heute von ihm, im ehemaligen Letna-Stadion auf dem Hügel über der Moldau, wo Tomas Rosicky zum Weltstar heranwuchs.
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