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Sport: Die Mittelmäßigkeit bringt Streit

Auch zwei mittelmäßige Boxer können einen spannenden Kampf bieten. Die beiden Haudraufs müssen nur ebenbürtig sein wie Luan Krasniqi (30) und Rene Monse (33).

Auch zwei mittelmäßige Boxer können einen spannenden Kampf bieten. Die beiden Haudraufs müssen nur ebenbürtig sein wie Luan Krasniqi (30) und Rene Monse (33). Bis zur zwölften Runde stand der Ausgang der Europameisterschaft im Schwergewicht (der Titel war nach dem Verzicht Witali Klitschkos vakant) zwischen den beiden deutschen Zufallsanwärtern offen. Dann triumphierte in den letzten drei Minuten zwischen zwei ermatteten Kämpfern der stärkere Wille Krasniqis (101,5 kg) über die größere Müdigkeit Monses (101,5 kg). "Rene war pappesatt", sagte sein Trainer Werner Kirsch. "Mein Wille war entscheidend", sagte der neue Champion des alten Kontinents - der erste mit deutschem Pass seit Jürgen Blin vor 30 Jahren.

500 Kosovo-Albaner feierten frenetisch mit rot-schwarzen albanischen Nationalfahnen ihren "Landsmann" aus dem Schwarzwald, der freilich, wie er beteuerte, sich "mehr als Deutscher fühlt als viele andere". Die übrigen 5000 Zuschauer in der Magdeburger Bördelandhalle machten derweil so traurige Gesichter wie ihr enttäuschter, aber trotz der ersten Niederlage nicht enttäuschender Lokalamatador, der als der bessere Boxer mit den schöneren Schlägen nur knapp nach Punkten verloren hatte. 114:114, 115:112, 115:113 wertete das deutsche Kampfgericht.

Monse murrte nicht. "Mir fehlte zum Schluss ein wenig die Kraft." Kraftvoll hatte der kompakte Rechtsausleger anfangs hingelangt und zum Ende der zweiten Runde mit einer steifen linken Geraden den hypernervösen Favoriten zu Boden geschlagen. Krasniqi sprang zwar gleich wieder auf und versuchte mit gespielter Lässigkeit und hochgestreckten Fäusten - wie in Siegerpose - der Kosovo-Tribüne zu signalisieren: halb so schlimm. Es wäre wohl schlimmer geworden, wenn ihn nicht der Gong aus dieser brenzligen Situation gerettet hätte. "Da war Strom drin", rühmte Kirsch die Schlagkraft seines Schützlings. Doch dann schaltete Monse den Strom ab und boxte viel zu passiv. "Rene muss den Kampf machen. Doch er wartet und wartet. Worauf? Auf Neuschnee?" Derart erregte sich Eckhard Dagge, der nach Max Schmeling zweite deutsche Boxweltmeister ("Viele Weltmeister wurden Alkoholiker. Ich bin der einzige Alkoholiker, der Weltmeister wurde."). Denn jede Linke traf. Doch Monse schlug sie viel zu selten, ließ sich dafür beim Ausruhen im Clinch von ganzen Salven rechter Aufwärtshaken durchschütteln. Dennoch: Nach der neunten Runde lag Monse auch beim Kampfgericht noch vorn. Dann war der Akku leer.

Alle, die damit zu tun hatten, fanden die Europameisterschaft der zweiten Garnitur "ganz toll". "Ein Gewinn für das deutsche Boxen", schwärmte Promoter Klaus-Peter Kohl. "Der Kampf schreit nach einem Rematch." Gemach. Das Anfangsfeuer war bald erloschen. Zwei Zauderer belauerten sich mehr als dass sie sich bekämpften, rafften sich nur noch sporadisch zu drei, vier Schlagaktionen pro Runde auf.

"Es war ein guter Kampf ohne die Qualität einer Europameisterschaft", urteilte der souveräne belgische Ringrichter Daniel van de Wiele, der vor neun Monaten Lennox Lewis in Johannesburg ausgezählt hatte. Es gebe ein halbes Dutzend bessere Schwergewichtler in Europa: die Klitschkos sowieso, dann Danny Williams, Brian Nielsen und selbst Timo Hoffmann. "Auch Cengiz Koc schlägt heute schon beide k. o. Der fackelt nicht lange", behauptet dessen Trainer Ulli Wegner. Timo Hoffmann, der immerhin im EM-Kampf zwölf Runden gegen Witali Klitschko durchgestanden hatte, lästerte: "Von zwei schlechten Boxern hat der glücklichere gewonnen. Ich freue mich jetzt auf Krasniqi." Daraus wird wohl so schnell nichts werden. "Wer sich schon im Vorfeld so abfällig über Sportkameraden äußert," zürnte Kohl dem Hünen aus dem Konkurrenzstall Wilfried Sauerlands, "der hat sich selbst disqualifiziert."

Krasniqi, der neue Europameister aus Rottweil, drei Jahre lang Trainingspartner von Lennox Lewis, faselte zwar nach seinem 20. Sieg mit dem ersten Niederschlag in 20 Profikämpfen von seinem "starken Willen, nun auch Weltmeister zu werden". Doch dazu fehlen Klasse, Schlagkraft und vor allem Nervenstärke. "Der psychische Druck war enorm. Ich war sehr verkrampft", entschuldigte Krasniqi seine wenig eindrucksvolle Vorstellung. Meistertrainer Fritz Sdunek, der den vielversprechenden Neuling bei der Hamburger Universum Box-Promotion in die Obhut seines Assistenten Michael Timm abschob, traut Luan Krasniqi nämlich keine große Zukunft zu. "Der kriegt das nervlich nicht geregelt."

Hartmut Scherzer

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