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Sport: Die Tränen der Unvollendeten

Ungern erinnert sich Jana Novotna "ihres" Wimbledon-FinalesVON DIETMAR WENCK LONDON.Erinnerungen an ein Endspiel können etwas sehr Schönes sein für einen Tennisspieler.

Ungern erinnert sich Jana Novotna "ihres" Wimbledon-FinalesVON DIETMAR WENCK LONDON.Erinnerungen an ein Endspiel können etwas sehr Schönes sein für einen Tennisspieler.Sie können ihn aber auch auf alle Zeiten verfolgen.Wenn man zum Beispiel im dritten und entscheidenden Satz schon mit 4:1, 40:30 geführt hat.Bei eigenem Aufschlag.Und das in Wimbledon.Und dann noch verloren hat, 4:6.Jana Novotna wird dieses Finale von 1993 vielleicht nie vergessen können.Aber es gibt Hoffnung.Denn heute steht sie wieder im Endspiel, nicht gegen Steffi Graf wie damals, sondern gegen die junge, unerfahrene Schweizerin Martina Hingis.Sollte die 28jährige diesmal gewinnen, wird sie vielleicht wieder in Tränen ausbrechen an der Schulter der Herzogin von Kent.Aber dann in Tränen der Erleichterung. Es ist ihr x-tes Finale.18 Einzel-Turniere hat sie gewonnen, sie ist seit 1987 Profi und momentan Dritte der Weltrangliste.Jana Novotna gilt als die Unvollendete.Weiter oben stand sie nie zuvor.Sie spielt ein wunderschönes, stilvolles Tennis.Nur gewinnt sie die entscheidenden Partien an den entscheidenden Plätzen zu selten.Doch nirgends kann Jana Novotna ihr Spiel, das Aufschlag- und Volleyspiel, so erfolgversprechend vortragen wie hier in Wimbledon.Plazierter Aufschlag und ab ans Netz.Tiefer, langer Rückhand-Slice, und ab ans Netz.Martina Navratilova hat mit dieser Spielweise das Turnier jahrelang beherrscht.Jana Novotna kommt aus derselben, der tschechischen Tennis-Schule.Auch ihre Trainerin und Lebensgefährtin Hana Mandlikova, die 1981 und 1986 im Wimbledon-Finale stand und einmal Chris Evert, einmal Navratilova unterlag.In Paris, Melbourne und New York siegte sie.Navratilova und Mandlikova spielten nicht viel besser, aber sie hatten bessere Nerven. Jana Novotna sagt, über die Jahre habe sich ihre Sicht der Dinge verändert."Tennis ist nicht mehr das Wichtigste in meinem Leben", meint sie, das habe sie inzwischen erkannt.Späte, nicht unbedingt tiefschürfende Erkenntnis, gefördert durch eine schwere Erkrankung ihres Vaters.Auch derzeit ist er im Krankenhaus in ihrer Heimatstadt Brno und sieht sich jedes ihrer Matches im Fernsehen an."Wieviel wichtiger als Tennis ist doch Gesundheit", meint sie nun.Das klingt nach gesunder Einstellung, ein bißchen aber auch nach psychologischer Hilfestellung.Motto: Wenn ich verliere, ist es ja nicht so schlimm.Etwas merkwürdig für einen Sportler, vor dem Wettkampf so zu denken."Mir hat es geholfen, Tennis entspannter zu sehen, obwohl ich noch immer 100 Prozent gebe, um zu gewinnen", beharrt sie, "und deswegen spiele ich besseres Tennis." Der weiche Kern der Jana Novotna steckt in einer manchmal recht stacheligen Schale.Sie kann außerhalb des Tennisplatzes sehr verbissen, geradezu zickig sein.Jahrelang spielte sie mit Helena Sukova ein hervorragendes Doppel, das beste der Welt.Dann entzweiten sich die beiden plötzlich, niemand erklärt genau, warum.Angeblich war es mehr ein Streit Sukova - Mandlikova.Dann war eine Weile Arantxa Sanchez-Vicario ihre Doppelpartnerin.Heute ist auch dieses Verhältnis gestört."Sie hat hier noch keine schweren Gegnerinnen gehabt", giftete Novotna vor dem Aufeinandertreffen der beiden im Halbfinale, das sie 6:4, 6:2 gewann."So ist sie eben, das kennt man doch von ihr", konterte die Spanierin, "so etwas kann sie vielleicht sagen, wenn sie einmal ein großes Turnier gewonnen hat." Genau das hat Jana Novotna in Wimbledon vor.

DIETMAR WENCK

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