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Doping-Vergangenheit: "Ich war beseelt von der Idee, sauber zu bleiben"

Claudia Lepping war Athletin im Westen. Hier erzählt sie, wie sie sich dopen sollte und sich dagegen wehrte

Ein von Dopingmitteln überquellender Kulturbeutel, ein mit Medikamenten gefüllter Zylinderhut, ein dreizeiliges Schreiben des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und eine gespenstische Begegnung im Geräteschuppen eines Stadions in Ostwestfalen – danach war es um meinen guten Glauben in einen sauberen Sport geschehen. Bis dahin hatte ich immer noch auf Verbündete gehofft; auf Sportler, Trainer, Ärzte und Funktionäre, die ähnlich zuversichtlich wären, dass es talentierte junge Athleten auch ohne Doping sehr weit bringen.

Doping? Das waren lange nur die anderen – die Russen, die Amis, die DDRler und womöglich ein paar leichtsinnige Briten und Franzosen, die sich mit Koks und Amphetaminen in Wallung brachten. Hatte nicht der frühere Tennisstar Yannick Noah erzählt, wie enthemmt es sich damit spielen lasse, weil die Erschöpfung kaum zu spüren sei? Na, lass sie, dachte ich mit 18 Jahren, lass womöglich ein paar Läuferinnen koksen, die meinen, es nötig zu haben; die hol ich auch noch ein. Später hieß es von anderen, sie würden ihr Blut mit Sauerstoff anreichern, was zwar verboten, aber kaum nachweisbar sei. Und dann war da die Sache mit dem Anabolika: In der Szene kursierten immer wieder Namen auch deutscher Athleten, die das nähmen. Anabole Steroide, las ich nach: Medikamente für krebskranke Patienten, um unter anderem die Funktion des Schließmuskels aufrecht zu erhalten. Und so was schluckten gesunde junge Sportler?

Ich trainierte in meinem Kleinstadtverein und war beseelt von der Idee, sauber zu bleiben. Es lief ja gut. Selbst die, die angeblich dopten, waren kaum besser. Die Leistungsdiagnostiker stellten mir Leistungen auf dem Niveau des 400-Meter-Weltrekords in Aussicht; das beflügelte. Dann die EM 1986 in Stuttgart: Der Cheftrainer eines westdeutschen Vereins, der mit einer Handvoll Läuferinnen den Frauensprint neu erfinden und mit den erfolgreichen DDR-Klubs mithalten wollte, sagte: „Wenn du zu uns wechselst, zeigen wir dir, warum die DDR-Mädels so schnell sind.“ Ich dachte an moderne Trainingsmethoden, verdrängte alle leisen Zweifel und fand nicht einmal etwas dabei, vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) während der EM fast täglich zur Dopingkontrolle geschickt zu werden: Die wussten, dass ich nichts nehme.

Der Vereinswechsel glich dem Zutritt ins Panoptikum. Während der Trainingslager deponierte meine Zimmernachbarin einen zweiten Kulturbeutel im Bad – übervoll mit Medikamenten. Ich notierte deren Namen und legte die Liste der Hausärztin meiner Eltern vor: Doping. Eine andere Kollegin sammelte die Packungen in einem umgedrehten Zylinder auf ihrem Kühlschrank. An Pinnwänden hingen Blanko-Rezepte, unterschrieben von Ärzten, die viel Geld verdienten am Erfolg ihrer sogenannten Patienten. Welche Anabolika sich die Mädchen aus der Apotheke holten und in welcher Dosierung sie diese schluckten, würde der Trainer entscheiden – je nach Trainings- und Wettkampfergebnis. Je mehr ich bei den Läuferinnen nachhakte, umso mehr Nebenwirkungen nannten sie. Zwei Sprinterinnen seien an Herz und Leber erkrankt; andere hätten verstörende Veränderungen der primären Geschlechtsteile. Der Coach war zugleich Nationaltrainer des DLV. Von seiner Beurteilung hing auch ab, mit wie viel Geld der Verein die Sportler unterstützt; je nach Kaderzugehörigkeit erhielten sie Sporthilfe und Prämien der Ausrüsterfirmen.

Ohne Namen zu nennen, schrieb ich einen Brief an den DLV: Ob der Verband ahne, in welchem Umfang an der Basis gedopt werde? Ich erhielt einen Dreizeiler zurück: „Liebe Claudia, meines Erachtens liegt hier ein Missverständnis vor. Mit sportlichen Grüßen – der Leistungssportdirektor.“ Durch die Journalistenausbildung war bei einer Pressekonferenz Gelegenheit, DLV-Funktionäre zu fragen, warum sie sich nicht zum Handeln aufgefordert fühlten, obwohl sie von einer Athletin auf Missstände hingewiesen werden? Keine Antwort. Mein neuer Trainer wusste von meinem Nein zum Doping; die Fronten waren klar. Er selbst übte keinen Druck auf mich aus; der entstand durch Vereins- und Verbandsfunktionäre, die vieldeutig unkten, dass mir mein Verhalten sportlich und beruflich schaden würde. Ihr langer Arm reichte bis zum direkten Vorgesetzten, der mir riet, „gut zu überlegen, was du auspackst“.

Erst mal packte ich ein: Selbstgedruckte T-Shirts und Plakate für die flugs erdachte „Anti-Doping-Initiative Saubere Leichtathletik“. Und jede Menge Kopien abschreckender Dossiers über die gesundheitlichen Folgen des Anabolika-Dopings. Das Ganze wurde verteilt am Rande von Jugendmeisterschaften, um Kinder von den Mittelchen fern zu halten.

Und die eigene Karriere? Mein früherer Vereinstrainer hatte vor meinem Wechsel ins Doping-Panoptikum ausgehandelt, mich weiter zu betreuen; er spekulierte auf einen gut dotierten Job. Entsprechend hoch war der Erfolgsdruck: Ich war verletzt, und er sagte , er verlöre seinen Job, wenn ich nicht schnell wieder fit wäre. Ich wusste von dieser Abmachung nichts, nahm nur verwundert hin, entgegen ärztlichen Rats plötzlich an den Start zu sollen. Beim Aufwärmen lotste er mich in den Geräteschuppen des Stadions. Dort wartete ein Mediziner – um die Dopingspritze aufzuziehen. Ich ließ sie stehen. Auch aus Wut, dass selbst jener Trainer betrügen wollte, dem ich so lange vertraut habe.

Claudia Lepping war in der Bundesrepublik mehrmals deutsche Jugend- und Juniorenmeisterin über 100 und 200 Meter. Später wechselte sie in den Journalismus. Nach der Wende arbeitete sie zehn Jahre lang beim Tagesspiegel und ist nun Korrespondentin der Stuttgarter Nachrichten.

Claudia Lepping

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