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Aus dem Leben eines Fans: Einmal Unioner, immer Unioner
Mit Union ist das wie mit einer schönen Frau. Entweder ist sie einem egal, oder man verfällt ihr mit Haut und Haar und bekommt dafür als Strafe ein „Lebenslänglich“ aufgebrummt. Niemand kann wider sein Schicksal. Jeder Fan eines Vereins hat Gründe dafür, dass die Wurzeln seiner Liebe so tief sind.
Durch sie fließt ein Strom von Leidenschaft, der manchmal Leiden schafft und uns dann wieder vor Glück empor reißt. Ein ewiges Wechselspiel. Dass sich auch noch durch die Generationen vererbt. Bei Union gibt es Strampelanzüge für rot-weiße Babys und, für später, rot-weiß gestylte Urnen. Dazwischen liegen Lust und Verklärung, Ärger und Verdruss, Stirb und Werde. Und das an jedem Wochenende.
Was ist eigentlich dran an diesem komischen Club, der zwar offiziell erst 1966 gegründet wurde, aber für mich schon seit Kindesbeinen existiert. Damals wohnten die Stars bei uns nebenan, in Johannisthal, die Verehrung für den Verteidiger Alfred Gaulke ging so weit, dass ich für die Klassenkameraden nurmehr der Atze von Union Oberschöneweide war, auch später, als wir uns vor den Bomben auf Berlin in die Altmark flüchteten. Da war jeder Weg in die Alte Försterei eine kleine Weltreise. Einmal stand ich – es war lange nach dem Krieg – direkt hinter dem Rundfunkreporter Heinz-Florian Oertel, der auf einem Gartenstuhl am Spielfeldrand saß, das Mikrofon umklammerte und Unions Spiel direkt übertrug. Ja, das wollte ich auch werden, Reporter, und dann immer so nah dran.
Was war das Besondere an diesem Club der kleinen Leute, dem Verein der Arbeiter aus den Oberschöneweider Industriebetrieben, die ihresgleichen, wenn sie in der dunkelblauen Kluft der Schlosserjungs über den Rasen pesten, mit dem Schlachtruf „Eisern Union“ anfeuerten? Der klingt heute lauter denn je. Nina Hagen, die an der Hand ihres Vaters einst über die krummen und schiefen Traversen der Alten Försterei gestolpert ist, schreit diese Durchhalteparole vor jedem Anpfiff über den Platz. Das Stadion ist überhaupt nicht mehr marode, die Treppen sind neu und die Dächer auch, weil wir, 2500 von 6000 Mitgliedern, an dem neuen Ballhaus des Ostens mitgeschippt, gefegt, gemalert und vor allem mitgebaut haben. Der Gemeinschaftsgeist, der das zuwege gebracht hat, ist gewissermaßen hart wie Beton, geradezu eisenhart. Gestählt wurde das zu Zeiten, als Union, der Underdog, seine besten Leute an den politisch strammen BFC Dynamo „delegieren“ musste: An der Cantianstraße herrschte Erich Mielke, bei Union das Chaos, hier trafen sich die Unangepassten, trugen Jeans-Jacken mit Hertha-Emblem und Bayern-Aufnähern, waren Schalke immer näher als irgendwelchen Dynamos. Politisch voll daneben.
Vererbt durch Generationen
Das besondere Gefühl, Unioner zu sein, vererbt sich durch die Generationen, und immer sind es einzelne Ereignisse und Aktionen, die uns nie an unserem Verein zweifeln ließen, einem Verein, bei dem die Fans auch noch bei einer Klatsche Beifall klatschen. Das Gebot, die eigene Truppe niemals auszupfeifen, scheint sich ebenso zu vererben wie das Grauen vor solchen Sachen wie Cheerleadergehopse oder Halbzeitshows. Die aschenbahnlose Alte Försterei ist Fußball pur. Der Felix Magath war baff, als er mal mit Bayern München in Köpenick gastierte: „Dass es so was noch gibt: Fußball zum Anfassen. Toll“. Ein bisschen Kiez, ein bisschen Kult. St. Pauli an der Spree. Oder so.
Wer über Unions Besonderheiten reden will, braucht schon eine Halbzeit. Und alle zehn Finger. Da gibt es „das Stück zum Spiel“, ein Theaterereignis mit dem Slogan als Titel „Und niemals vergessen: Eisern Union“ (abgekürzt: u.n.v.e.u.) – ein Familiendrama um einen Fan und die Hochs und Tiefs des Vereins, der immer mal wieder auf- und dann gleich wieder abstieg, zuletzt sogar von der zweiten in die vierte Liga, was der Fußballgott bitte in Zukunft verhindern möge. Oder: Über die Spree fahren die Union-Ausflugsschiffe Viktoria und Karola, bei der rot-weißen Viktoria haben sie „Union wird niemals untergehn“ auf die Planken gemalt. Ende der neunziger Jahre, als es dem Verein verdammt dreckig ging, weil er kein Geld hatte, zogen 3000 mit ihren Schals und Trikots durchs Brandenburger Tor, Motto: „Rettet Union“. Ein paar Jahre später fehlten über eine Millionen Euro als Liquiditätsreserve – mit der Aktion „Bluten für Union“, einem Benefizspiel gegen die Blutsbrüder von St. Pauli und mit Solidaritäts-Shirts, rot wie Blut, kam schließlich die Kohle zusammen. Solch Großfamilie bringt es fertig, mit 10.000 Fans 24 Stunden vor Heiligabend die Alte Försterei zu belagern, wo es nichts anderes gibt als die Weihnachtsgeschichte vom Köpenicker Pfarrer, Glühwein und zwei Dutzend Weihnachtslieder, emphatisch gesungen, bis alle Kerzen verglühen.
Das also ist Union. Momentan herrscht eine gewisse Torschusspanik. Und was passiert dann? Dann buhen wir nicht etwa die Stürmer aus, sondern dichten flugs auf die Melodie von „Can’t take my eyes off you“ einen Reim, um den Freistoßspezialisten „Tusche“ anzufeuern (und die anderen ein bisschen zu beschämen): „Torsten Mattuschka, du bist der beste Mann, Torsten Mattuschka, an dich kommt keiner ran. Torsten Mattuschka mach ihn rein für den Verein“. Vor 30 Jahren haben sie beim Freistoß vorm Tor spontan und im Chor „Die Mauer muss weg!“ gerufen. So ändern sich die Zeiten, und „Tusche“ wird ihn reinmachen, da bin ich ganz sicher.