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Christoph Daum.

© AFP

WM 2014 - Interview mit Christoph Daum: "Es ist für Joachim Löw ein Tanz auf der Rasierklinge"

Christoph Daum verfolgt die deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft vor Ort in Brasilien. Im Interview legt der Motivator seine ganz eigene Sicht auf das DFB-Team dar - und ihre Spielweise.

Christoph Daum, Sie haben das Achtelfinale gegen Algerien im Stadion verfolgt. Wie fanden Sie es?
Ich bin doch nicht der Vordenker und Besserwisser zur aktuellen Situation der deutschen Mannschaft.

Aber?
Nein, ich respektiere die Arbeit von Joachim Löw in jeglicher Hinsicht. Schließlich ist er ein sehr erfolgreicher Nationaltrainer, dem zur Krönung seiner Arbeit nur der Titel fehlt. Und nichts, das wissen wir beide, ist erfolgreicher als der Erfolg.

Dennoch plädieren Sie dafür, Philipp Lahm wieder auf seine angestammte Außenverteidigerposition zu setzen.
Das meine ich nicht als Kritik, denn im Fußball gibt es immer unterschiedliche Meinungen, sonst würden alle ein und dasselbe System spielen. Ich kann nur sagen, dass ich gewisse Dinge anders machen würde.

Das heißt?
Ich habe eine andere Vorstellung von der Spielweise und davon, wie man eine Mannschaft mit den vorhandenen Spielerpersönlichkeiten ausbalanciert. An einigen Stellen würde ich Leute eher ihren Fähigkeiten entsprechend einsetzen.

Was hat sich verbessert, als Philipp Lahm vor der Verlängerung gegen Algerien nach hinten rechts gewechselt ist?
Lahm kann genauso wie Khedira dem Mittelfeld Stabilität geben, keine Frage. Aber wenn ein Trainer Leute wie Bastian Schweinsteiger oder Sami Khedira hat, kann er Weltklassespieler wie Lahm gewinnbringender einsetzen.

Warum ist Lahm außen besser?
Weil er zu seiner Klasse auf der Außenposition gereift ist und bewiesen hat, wie viel er von dort für das Spiel tun kann. Von dort ist er noch wertvoller.

Nach dem Algerien-Spiel wurde das Umschaltspiel der deutschen Elf kritisiert.
Wir erleben gegenwärtig eine absolute Verdichtung des Mittelfelds. Spiele werden heute aus dem Mittelfeld heraus gemacht, auch wenn sie natürlich vor dem Tor entschieden werden. Im Mittelfeld aber wird die Spielkontrolle erarbeitet. Hier wird das schnelle Umschaltspiel kreiert, was von vielen als das rasante Erarbeiten von Torchancen verstanden wird. Umschaltspiel meint aber auch die Rückwärtsbewegung, dass Angriffsspieler schnell wieder in die Verteidigungslinie zurückkehren, wenn ein Gegenangriff erfolgt. So spielt die Nationalelf, liegt damit also im Trend. Allerdings mangelt es dem Team manchmal beim schnellen Umschalten in die Tiefe.

Wo konnte man das im Algerien-Spiel erleben?
Bis zur Einwechslung von André Schürrle war die Mannschaft zu sehr auf sichere Ballzirkulation ausgelegt und entwickelte nur wenig Dynamik nach vorne. Als Schürrle reinkam, hat er Zug in die Sache gebracht und ist in die Löcher gestoßen. Kurz: Er war ein belebendes Element.

Vor der Verlängerung hielt nicht der Bundestrainer die Ansprache an die Mannschaft, sondern Hansi Flick und teilweise sogar Sami Khedira. Wie deuten Sie diese Aufteilung?
Ihr Journalisten bekommt in solchen Situationen natürlich Munition. Das ist klar. Aber für mich ist es ein Zeichen, wie sehr Joachim Löw die Fäden in der Hand hält. Er hat immer bekräftigt, dass er flache Hierarchien schätzt. Khedira ist ein verlängerter Arm des Trainers, ein Typ, auf den die Mitspieler hören. Manchmal ist es in solchen Situationen besser, wenn andere sprechen.

Mit Sami Khedira auf der Sechs, André Schürrle auf rechts außen und Philipp Lahm auf der Außenverteidigerposition – könnte das die erste Elf im Match gegen Frankreich sein?
Halte ich für denkbar. Aber die Aufstellung ist gar nicht so entscheidend, sondern die Einstellung. Lukas Podolski oder Miroslav Klose wären ebenfalls Alternativen. Die gehen auch dahin, wo es wehtut.

Aber mit Khedira und Schürrle lief es am Ende gegen Algerien doch sehr gut.
Khedira ist aber noch nicht komplett fit. Es ist für Joachim Löw ein Tanz auf der Rasierklinge. Die Wahrscheinlichkeit, dass Khedira 90 Minuten auf höchstem Niveau schafft, ist nicht gegeben. Der Bundestrainer muss also, wenn er ihn aufstellt, Alternativen im Kopf haben. Er braucht B- und C-Pläne, weil er viele Spieler dabei hat, die nicht im regelmäßigen Spielrhythmus sind: Mesut Özil, Mario Götze, Schweinsteiger, Klose, auch Schürrle war beim FC Chelsea eher ein Einwechselspieler. Die haben zum Teil nicht das absolute Selbstvertrauen.

Wird das Spiel gegen Frankreich einfacher, weil es für die deutsche Mannschaft ein Gegner auf Augenhöhe ist?
Zumindest hat die Mannschaft in diesem Spiel auch wieder etwas zu gewinnen.

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