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Sport: Fußpflege für die Seele

Hertha will die Psyche der Spieler stärken – ohne jedoch auf den Mentaltrainer zurückzugreifen

Berlin. Mens sana in corpore sano – nur wenn der Körper gesund ist, wird auch der Geist seine volle Kraft entfalten, das wusste schon der römische Satiriker Juvenal. Knapp 2000 Jahre später schlägt sich nun der Fußballlehrer Hans Meyer mit dieser Weisheit herum. Mangelhafte Physis ist nicht der Grund für die schwere Krise bei Hertha BSC – aber der Geist ist trotzdem nicht gesund. Nur, wie will Meyer die angeschlagene Psyche der Spieler stärken? Der Trainer des Berliner Fußball-Bundesligisten verzog bei dieser Frage für einen Moment das Gesicht, weil sie nicht in zwei, drei kurzen Sätzen zu beantworten ist. Aber die Fernsehkamera lief schon, also probierte es Meyer mit folgender Antwort: „Den Spielern muss klar sein, dass sie es sind, die Teil haben an Herthas größtem Erfolg der Nachkriegszeit.“

Fünf Monate wird Hans Meyer in Berlin arbeiten, und in den ersten Wochen kommt es darauf an, den Spielern einen Teil ihres verlorenen Selbstbewusstseins wieder einzutrichtern. Also spricht Meyer von den schönen Erfolgen „der letzten fünf Jahre im Europapokal“ und davon, dass „die Spieler ja nicht alles verlernt haben können“. Als sich Herthas Führungsebene um Manager Dieter Hoeneß vor zwei Wochen darauf einigte, bis zum Saisonende mit dem 61-Jährigen zusammenzuarbeiten, gaben dessen väterliche Ausstrahlung und Autorität den Ausschlag für ein Engagement bei den Berlinern.

Es geht also um Psychologie. Um wie viel davon, das wird sich im Trainingslager auf Gran Canaria zeigen, wenn die Mannschaft für zehn Tage mit ihrem Trainer unter einem Dach wohnt. Es kann für viele Spieler eine Belastung sein zu wissen, dass die eigene Schwäche keine ist, die sich durch regelmäßige Waldläufe beheben lässt. Das weiß Meyer, das weiß auch Herthas Manager Hoeneß, und dieses Problem macht die Situation nicht einfacher.

Bevor Huub Stevens als Trainer nach Berlin kam und letztlich scheiterte, arbeitete der Klub relativ eng mit dem Psychologen Gerd Driehorst zusammen. Manager Hoeneß lud den neuen Mentaltrainer sogar nach Österreich in Herthas Trainingslager ein und stellte ihn dort den Spielern vor. Wer Hilfe sucht, der könne sich gern an ihn wenden. Herthas Verteidiger Josip Simunic gilt seitdem als perfektes Beispiel, wie ein labiler Fußballer zu seiner Stärke zurückfinden kann. Doch heute ist die Situation bei Hertha eine andere. Als sich Driehorst gestern früh dem neuen Trainer vorstellte und ihm seine Telefonnummer gab, wirkte Meyer nicht sonderlich begeistert. In der DDR, beim FC Carl Zeiss Jena, habe er es auch mal mit einem Mentaltrainer probiert, aber gemerkt, dass „so etwas in den individuellen Bereich gehört, nicht ins Kollektiv“. Deshalb werde Driehorst auch nicht mit ins Trainingslager fliegen.

Nun würde Hertha es sich wohl ein wenig zu einfach machen, der Mannschaft einen Mentaltrainer zu verordnen und dann darauf zu hoffen: Alles wird gut. Josip Simunic etwa ist ein begnadeter Fußballer, konnte seine Qualitäten aber selten zeigen, weil er unkonzentriert war und sich ablenken ließ. Als er diese Schwäche in den Griff bekam, schloss er zu einer Mannschaft auf, die intakt und gefestigt war. Jetzt aber sind viele Spieler zu unsicher, das Gebilde droht immer wieder einzubrechen. „Aus einer sportlichen Krise kommt ein Fußballer am besten, wenn er Erfahrung hat“, sagt Hans Meyer. Vielleicht muss man ihn so verstehen: Gelingen Hertha in den ersten Rückrundenspielen ein, zwei Schritte aus der Krise, wissen die Spieler, wie sie als Mannschaft beim nächsten Rückschritt reagieren müssen. Der Einzelne könne ja mit einem Mentaltrainer arbeiten, sagt Meyer. „Das ist wie Fußpflege. Das entscheidet jeder für sich selbst.“

André Görke

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