
Sport: Gefahr in den Wipfeln
Team-Olympiasieger Stephan Hocke erklärt, warum der Wind Freund und Feind des Skispringers ist
Schatten beim Abfahrtslauf, Wind beim Skispringen, Kaltluft beim Eisschnelllaufen – der Wintersport findet in der Natur statt und ist damit auch ihren Elementen ausgeliefert. In unserer Serie spüren wir diesen Elementen des Winters nach und beschreiben, wie sie sich auf den Sport auswirken. Heute fünfter und letzter Teil: der Skispringer Stephan Hocke über den Wind.
Als Skispringer ist man besonders sensibilisiert für den Wind. Man erkennt früher als andere, wenn es windig ist. Wenn man am Morgen aus dem Fenster sieht und die Baumwipfel schaukeln, denkt man sofort: Oh, heute ist es aber ganz schön windig. Zum Beispiel gerade in meinem Heimatort Zella-Mehlis. Dann finde ich’s gut, wenn ich nicht springen muss.
Der Wind ist Freund und Feind des Skispringers. Es kommt darauf an, von wo er bläst. Wenn er von unten kommt, man also Aufwind hat, dann ist er ein Freund. Dann unterstützt er den Sprung und man kann weiter fliegen. Man hat mehr Druck unter dem Ski und dem Körper, der Aufwind saugt einen nach oben. Wie bei einem Drachen, den man gegen den Wind stellt, hat man den stärksten Zug auf der Leine. Aber versuchen Sie mal einen Drachen bei Rückenwind zu starten.
Der Rückenwind ist der Feind der Skispringer, er drückt einen nach unten, man verliert an Geschwindigkeit. Da kann man nichts machen. Auch Seitenwinde sind ungünstig. Weil der eine Ski durch den Seitenwind mehr Druck hat, verdreht sich der Körper etwas. Es ist sehr schwierig, das im Flug wieder auszugleichen und trotzdem weit zu springen.
Sobald der Wind anfängt zu wechseln, wenn er böig und unbeständig wird, wird es gefährlich. Weil der Druck in der Luft auf den Ski plötzlich endet oder weil man plötzlich zu viel Druck auf einen Ski hat. Der Springer kann sich nur schwer darauf einstellen, man weiß zum Beispiel nicht, wie weit man mit dem Körper in Vorlage gehen kann. Wenn der Wind von der Seite kommt, kann auch ein Ski wegkippen. Wie in einem Flugzeug, das plötzlich in ein Luftloch sackt. Das wird dann auch gefährlich. Wenn der Springer in Vorlage ist, kann er sogar vorne überkippen.
Es hat im Weltcup immer wieder Springen mit schwierigen Windbedingungen gegeben. 2007 in Zakopane zum Beispiel, als der Tscheche Jan Masoch so schwer gestürzt ist und mit einer Schädelprellung im Koma lag. Damals gab es am Anfang relativ viel Aufwind, doch dieser Wind war dann plötzlich weg.
Als Skispringer hat man keine Angst vor dem Wind. Aber es wird einem schon mulmig, wenn es wirklich zu windig ist, und trotzdem versucht wird, den Wettkampf durchzudrücken. Wegen einer TV-Übertragung oder ähnlichem.
Ich werde wahrscheinlich meine Sensibilität nie mehr ablegen. Weil ich nach meiner Karriere anstrebe, Skisprung-Trainer zu werden, kann es passieren, dass ich mein Leben lang am Morgen aufstehe – und erstmal nach dem Wind sehe.
Aufgezeichnet von Benedikt Voigt. Bisher erschienen: Jenny Wolf über Kaltluft im Eisschnelllauf (10.1), Simon Stickl über Untergrund beim Skicross (12.1.), Gina Stechert über Licht beim Skirennfahren (19.1.) und Felix Loch über das Eis beim Rodeln (23.1).