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Sport: „Ich muss nicht den großen Macker spielen“

Nationalspieler Arne Friedrich über Führungsverantwortung, Respekt und die Verunsicherung bei Hertha BSC

Herr Friedrich, Jugendliche malen sich manchmal aus, wie ihr Leben mit 30 aussehen könnte, mit eigenem Haus und eigener Familie. Wissen Sie noch, wie der 14jährige Arne Friedrich sich Arne Friedrich mit 30 Jahren vorgestellt hat?

Nein, über solche Sachen habe ich nie nachgedacht. Ich bin kein Mensch, der seine Zukunft großartig plant.

Und jetzt?

Jetzt auch nicht. Bis ich 30 bin, sind es noch sieben Jahre. So lange denke ich nicht voraus.

Manager Dieter Hoeneß will Sie bis 2010 an Hertha binden. Dann wären Sie 30.

Ja, ja, danach werde ich jetzt immer gefragt. Aber in der Öffentlichkeit will ich mich dazu nicht äußern.

Immerhin zeigt das Angebot, dass Ihre Qualitäten bei Hertha sehr geschätzt werden. Inzwischen gelten Sie als potenzieller Führungsspieler.

Führungsspieler? Was soll das denn sein?

Ein Spieler vielleicht, der außer der sportlichen Qualität auch noch andere Qualitäten besitzt: der etwas Integratives hat, der in der Lage ist, sich auszudrücken und innerhalb der Mannschaft bestimmte Strömungen zu erkennen. Entdecken Sie solche Qualitäten auch bei sich?

Wie soll man das erkennen? Ich denke nicht darüber nach, ein Führungsspieler zu sein; ich denke auch nicht über meine Fähigkeiten nach. Es kann sein, dass ich mich ausdrücken kann; es kann auch sein, dass ich auch bestimmte Entwicklungen erkenne. Ich glaube sogar, dass ich dafür eine gewisse Gabe besitze. Dennoch – ich kann doch nicht groß meinen Mund aufmachen und den älteren Spielern sagen, wie es zu laufen hat. Irgendwie wäre das ein bisschen seltsam.

Inzwischen scheinen die Leute das fast schon von Ihnen zu erwarten.

Moment mal, ich spiele gerade eine halbe Saison in der Bundesliga. Für mich ist das immer noch eher ein Reinschnuppern.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie vom Verein, vom Trainer und vom Manager, in eine solche Rolle hineingedrängt werden?

Gedrängt überhaupt nicht. Aber Dieter Hoeneß hat mir gesagt, dass ich in diese Rolle reinwachsen kann. Und werde. Er hat ja auch nicht behauptet, dass ich jetzt schon Führungsspieler bin, sondern dass ich auf dem Weg bin. Das traue ich mir selbst auch zu. Und es wird auch bald notwendig sein, dass wir Jüngeren diese Aufgabe übernehmen. In der nächsten Saison werden einige ältere Spieler nicht mehr dabei sein: Michael Preetz und Jolly Sverrisson, vielleicht auch Rob Maas und René Tretschok.

Das sind Herthas Führungsspieler?

Eigentlich schon. Das sind alles keine Spieler, die aufstehen und sagen: Ich bin der Chef. Das ist eher unterschwellig. Sie haben alle etwas vorzuweisen. Nehmen Sie René Tretschok. Der ist mit Borussia Dortmund Meister geworden, hat die Champions League gewonnen. Da kann man schon Respekt vor haben. Ich kann doch nach 17 oder 18 Bundesligaspielen noch nicht sagen: Ich bin jetzt Führungsspieler. Klar, ich möchte es irgendwann werden. Aber da gehört schon noch ein bisschen Erfahrung zu.

Dass man Ihnen diese Rolle zutraut, hängt mit Ihrer sportlichen Entwicklung zusammen. Dieter Hoeneß hat sich gewundert, mit welchem Selbstbewusstsein Sie von Anfang an bei Hertha aufgetreten sind.

Ein wenig Selbstbewusstsein braucht man schon. Und wenn Hertha einen Spieler holt, dann hat der auch ein bisschen was drauf – ohne jetzt überheblich sein zu wollen. Das bin ich überhaupt nicht.

Sie haben sich also verstellt?

Nein, ich musste niemandem etwas vorspielen. Man sollte schon an sich glauben. Aber ich weiß auch, dass ich viel Glück gehabt habe. Nur weil zu Beginn der Saison einige unserer Verteidiger verletzt waren, bin ich so schnell in die Mannschaft gekommen.

Eigentlich sind Sie für die Zukunft eingekauft worden.

Das stimmt so nicht.

Der Verein hat Ihre Verpflichtung als Investition in die Zukunft verkauft.

Aber das heißt ja nicht, dass ich am Anfang ausschließlich dazu da bin, um zu lernen.

Trotzdem ist bei Ihnen alles recht schnell gegangen: auf Anhieb Stammspieler bei Hertha, nach zwei Einsätzen in der Bundesliga das erste Länderspiel und jetzt die designierte Führungsperson im Verein.

Ich glaube, dass ich mich am Anfang bei Hertha ganz gut angestellt habe und dass ich den Leuten gezeigt habe, was ich draufhabe. Mit der Nationalmannschaft war es fast das gleiche Spielchen. Da fehlten viele Abwehrspieler, deshalb bin ich für das Länderspiel in Bulgarien nominiert worden. Normalerweise wird man nach zwei Bundesligaspielen kein Nationalspieler.

Aber für die Öffentlichkeit sind Sie jetzt vor allem Arne Friedrich, der Nationalspieler – und nicht mehr Arne Friedrich, der vor einem halben Jahr noch in der Zweiten Liga gespielt hat. Könnte das ein Problem für Sie werden?

Wieso soll das ein Problem sein? Ich versuche meine Leistung zu bringen, und außerdem bin ich nicht auf den Mund gefallen. Ich kann offen sagen, wenn mir was nicht passt – und das wird dann auch akzeptiert.

Dieter Hoeneß, der Manager, hat mal gesagt, Sie würden nicht abheben, weil Sie kerngesund im Kopf seien.

I ch bin nicht der Typ, der dazu neigt abzuheben. Wenn ich hätte abheben wollen, dann wäre ich längst abgehoben. Kein Spieler ist so schnell in die Nationalmannschaft berufen worden wie ich.

Wer oder was hält Sie davon ab abzuheben?

Das bin ich selbst. Ich glaube, ich habe mich ganz gut im Griff, und ich weiß auch, worauf es ankommt. Ich muss auch nicht den großen Macker spielen.

Können Sie gut mit Kritik umgehen? In Berlin sind Sie davon weitgehend verschont geblieben.

Wenn ich Mist gespielt habe, wie letzte Woche in Stuttgart, weiß ich auch, dass ich Mist gespielt habe. Dann brauche ich niemanden, der mir das sagt. Obwohl, dass nach diesem Spiel auch mal was Negatives in der Zeitung stand, fand ich gar nicht so schlecht.

Haben Sie sich schon mal den Mund verbrannt?

Ich bin nicht der Typ, der einfach drauflosredet und irgendeinen Mist loslässt.

Waren Sie früher mal Klassensprecher?

Bloß nicht. Dazu war ich viel zu faul, und außerdem bin ich nicht unbedingt begeistert in die Schule gegangen.

Bei Hertha ist Michael Preetz so etwas wie der Klassensprecher: einer, der für die ganze Mannschaft spricht. Im Sommer wechselt er ins Management.

Es ist klar, dass da etwas fehlen wird. Wie Michael Preetz das macht, ist sensationell. Anfang des Jahres, beim 50. Geburtstag von Dieter Hoeneß, hat er eine Rede gehalten – wirklich imponierend.

Wenn Preetz nicht mehr da ist, müssen vielleicht andere Spieler in den Vordergrund rücken, die sich bisher ein bisschen hinter dessen rhetorischen Fähigkeiten versteckt haben.

Da sind wir mit der ganzen Mannschaft auf einem guten Weg. Intern sprechen wir sehr viel. Nur bekommt die Öffentlichkeit das eben nicht mit, weil das in der Kabine passiert.

Man hat den Eindruck, dass viele Spieler verunsichert und eingeschüchtert sind.

Ja, aber woher kommt denn diese Verunsicherung? Daher, dass wir bisher nicht die Erfolge hatten, die wir uns erhofft hatten. In der Bundesliga sind wir völlig hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben, im DFB-Pokal in der ersten Runde ausgeschieden. Das ist nicht gerade die günstigste Gelegenheit, um mit breiter Brust über den Platz zu gehen. Wenn wir wirklich mal eine Serie hinlegen, wird mit Sicherheit alles um einiges besser sein.

Das ist ein bisschen wenig: darauf zu hoffen, dass irgendwann mal eine Erfolgsserie beginnt.

Natürlich wäre das zu wenig. Aber es ist ja nicht so, dass wir uns einfach dem Zufall ausliefern. Wir arbeiten an unseren Fehlern. Und wenn wir gegen Schalke gewinnen, haben wir aus den ersten drei Spielen nach der Rückrunde sechs Punkte geholt. Dann geht das schon wieder.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns

und Michael Rosentritt.

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