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Sport: Im Zweifel für das Stadion

Ein Präsident bekommt Bewährung: Die Mitglieder des FC St.Pauli geben ihrem Retter Corny Littmann eine letzte Chance

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Plötzlich ging alles ganz schnell. Nach sechsstündigem Streitmarathon fand die Führung des FC St. Pauli am Sonntag einen Kompromiss: Corny Littmann bleibt Präsident – bis zur nächsten Hauptversammlung im Oktober. Neue Vizepräsidenten werden drei Männer, die der Aufsichtsrat zuletzt für ein Übergangspräsidium vorgeschlagen hatte. Im Gegenzug sollten am Montag drei Aufsichtsräte zurücktreten. Einer, Holger Scharf, hatte schon bei der Mitgliederversammlung am Sonntag genug und legte das Amt nieder: „Ich kann nicht damit leben, dass wir einen Präsidenten behalten, der in so eklatanter Weise gegen die Satzung verstoßen hat“, sagte er.

Dem Showdown im Kongresszentrum Hamburg war ein wochenlanger Machtkampf vorausgegangen: Der Aufsichtsrat wirft Littmann vor, Verträge für den geplanten Stadion-Neubau im Alleingang abgeschlossen und gegen die Satzung verstoßen zu haben. Zuletzt entließ der Aufsichtsrat den Präsidenten, was ein Gericht für rechtswidrig erklärte. Am Sonntag sollten nun die Mitglieder bei einer außerordentlichen Versammlung über die Zukunft des Regionalliga-Klubs entscheiden. Ab 16 Uhr hatten die gut 1500 Stimmberechtigten ausgeharrt, über Tagesordnungsreihenfolgen und Redezeiten abgestimmt, sich Littmanns ergreifende Rede angehört und einen 20 Folien starken Overhead-Vortrag des Aufsichtsrats und skurrile Redebeiträge von Fans über sich ergehen lassen. Ganz ohne Chaos geht es bei St. Pauli eben nicht.

Um 22.20 Uhr konnte die brav in schwarzen Vereins-Trainingsanzügen angetretene U23-Mannschaft nicht mehr still sitzen. Zu ihren Füßen stapelten sich schon leere Chipstüten, als es plötzlich spannend wurde: Littmann verlangte eine Pause, denn der ehemalige Vereinsvize Guntram Uhlig hatte einen Vorschlag zur Güte gemacht. Zu diesem Zeitpunkt waren die amtierenden Vizepräsidenten Marcus Schulz und Klaus Rummelhagen schon zurückgetreten – zu nachhaltig seien sie im Streit beleidigt worden. Unter Buh-Rufen hatte Aufsichtsratschef Michael Burmester eine Entschuldigung beim Präsidium abgelehnt. Littmann hingegen gab zu, Satzungsverstöße begangen zu haben, stellte sich aber gleichzeitig als Schlüsselfigur für den Erfolg des Stadionbaus dar: „Ich habe Verständnis für Menschen, die mich nicht mögen“, sagte Littmann. „Ich bin kein Softy, kein Leisetreter, eher ein Macher, und manche mögen mich als Dampfwalze empfinden.“ Aber er habe sich nie bereichert und nur zum Wohl des Vereins gehandelt. Damit das Stadion schnell gebaut werden könne, müssten jetzt viele „die Zähne zusammenbeißen und mich noch ein halbes Jahr ertragen“, sagte der Präsident.

Als der Kompromiss auf den Tisch kam, hatte sich der Saal in zwei Lager gespalten: Die Ultras, die passend zur politischen Gesinnung links außen saßen, blieben bei ihrer Anti-Littmann-Haltung – vor allem aus Sorge, der Chef zweier Varieté-Theater könne den Klub zu stark kommerzialisieren. Die Mehrheit der Sankt-Paulianer hatte Littmann nach seiner Rede zwar mit stehenden Ovationen gefeiert – doch jetzt, nach sechs Stunden Debatte, waren für sie mehr Fragen offen als zuvor. Als sie den Kompromiss absegnen sollten, besannen sie sich dann wohl auf das, was ihnen greifbar erschien: ihr Millerntor. Ohne Corny kein Stadion – diese Parole war hängen geblieben, wie wohl auch die Worte von Marcus Schulz: „Egal wie man zu dem Streit steht: Littmann ist beim Stadionbau weiter gekommen als alle Präsidenten in den letzten 30 Jahren.“ Am Ende gaben zwei Drittel dem Kompromiss ihre Stimme. Eine Chance auf Bewährung für Littmann. Der wirkte erschöpft. „Fragen sie mich in einem halben Jahr nochmal, was das für mich persönlich bedeutet“, sagte er leise. Beim Bier danach war die Stimmung unter den Fans gereizt: Jetzt müsse Littmann seine Versprechen halten, hieß es. Ein halbes Jahr hat er Zeit.

Dagny Lüdemann[Hamburg]

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