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Bundestrainer Joachim Löw in Düsseldorf

© dpa/Bernd Thissen

Deutsche Fußball-Nationalmannschaft: In der Sinnkrise

Ausverkaufte Stadien gibt es bei Länderspielen der deutschen Fußballer kaum noch. Das liegt auch am Bild, das Mannschaft und Verband zuletzt abgaben.

Oliver Bierhoff wackelte auf seinem Podiumsstuhl zweimal hin und her. Die Frage nach sinkenden Zuschauerzahlen bei Spielen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gefiel ihm nicht. Gleichwohl hat auch er die Zeichen der Zeit registriert. „Wir laufen gerade nicht vorneweg“, sagte der 51-Jährige, der seit einem Jahr den sperrigen Titel „Direktor Nationalmannschaften und Akademie“ trägt.

Aber wenn es nur das wäre, dass der wichtigsten deutschen Mannschaft die Zuschauer weglaufen. Die beiden anstehenden Qualifikationsspiele zur Europameisterschaft 2020 am Samstag in Mönchengladbach gegen Weißrussland und drei Tage später in Frankfurt gegen Nordirland werden erneut nicht ausverkauft sein. Für das Spiel in Gladbach sind bislang rund 30.000 und für das Spiel am Dienstag in Frankfurt gegen Nordirland 37.000 Tickets veräußert worden.

Bierhoff hat die Zeichen der Zeit registriert

Die – bei allem Respekt – überschaubare Zugkraft der Gegnerschaft ist nur ein Grund. Zum Oktoberländerspiel vor einem Monat gegen den zweimaligen Weltmeister Argentinien blieb das ansonsten so stimmungsvolle Dortmunder Stadion mit nur 44.000 Zuschauern fast halb leer.

Spätestens seit den desaströsen Auftritten der Mannschaft von Joachim Löw bei der WM im Sommer 2018 hat sich das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Fußballnationalmannschaft merklich abgekühlt.

Familienunfreundliche Anstoßzeiten, zum Teil gepfefferte Eintrittspreise und ausbleibender Erfolg hat der deutschen Elf Sympathiepunkte gekostet. Auch deshalb wurden Länderspiele zuletzt in kleinere Stadien wie die in Mainz und Wolfsburg vergeben.

Aber es gibt auch hausgemachte Probleme. Unlängst hat Bierhoff „Fehler bei der Vermarktung“ rund um das Nationalteam eingeräumt. „Wir haben das, ja, ein bisschen überdreht. Wir haben das vielleicht überbetont“, sagte Bierhoff, als er nach Hashtags oder Claims wie „Die Mannschaft“ befragt worden war. „Deshalb haben wir das stark zurückgenommen.“

Richtig ist, dass die Bewertungen solcher Aktionen auch vom sportlichen Ergebnis abhängen. „Das Wichtige ist, dass das Produkt auf dem Platz passt. Wenn wir guten Fußball spielen, sind die ganzen Logos völlig unwichtig“, sagte Bierhoff: „2018 haben wir keine einzige Aktion mehr gemacht als 2014. Damals hatte es keine Diskussion gegeben. Aber davon, womit wir die Mannschaft verbinden, haben wir 2018 viel kaputtgemacht.“

Von der Vorreiterrolle der Nationalelf ist nicht mehr viel geblieben

Bis zum Titelgewinn bei der WM 2014 galt die Nationalelf als eine Art Vorreiter, ja Leitstern. Davon ist fünf Jahre später nicht mehr viel geblieben. „Wir müssen uns bewusst werden, dass es nicht einfacher wird“, sagte Bierhoff nun am Mittwoch. Mit der WM 2006 im eigenen Land war eine große Euphorie um die Nationalelf entstanden. Auf dieser Welle schwamm die Mannschaft viele Jahre. „Heute müssen wir mehr tun, um das halten zu können“, sagte Bierhoff.

Die Nationalelf befindet sich im Kampf um die Gunst des Publikums in einem harten Wettbewerb mit einem Überangebot an Fußball. Der Fan muss auch aus Gründen der Kosten und Zeit Abstriche machen.

Aber auch sonst hat die Nationalelf nicht immer ein glückliches Bild abgegeben. Vor und nach dem Spiel gegen Estland vor einem Monat lösten Instagram-Likes von Ilkay Gündogan und Emre Can negative Schlagzeilen aus.Sie hatten ein Like unter ein Foto gesetzt, auf dem ein befreundeter Nationalspieler der Türkei per Torjubel die militärische Offensive der des Landes in Nordsyrien unterstützte. Trotz klarer Statements gegen Krieg und Terror durch die Spieler nach dem Estland-Spiel, erinnerten sich viele Fans an die Bilder von Mesut Özil und Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die im Sommer 2018 eine Krise beim Deutschen Fußball-Bund auslösten.

Gündogan und Can sorgten zuletzt für negative Schlagzeilen

Nicht nur die Mannschaft ist in einer Findungsphase. Auch die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes hatte in den zurückliegenden Jahren ein zum Teil erschreckendes Bild abgegeben und mithin ein gewaltiges Image- und Vertrauensproblem an der Basis. Allein die drei letzten DFB-Präsidenten (Zwanziger, Niersbach und Grindel) scheiterten und mussten vorzeitig abdanken.

Künftig kann es für den DFB und seine erste Mannschaft nur darum gehen, verspielten Kredit zurückzugewinnen. Oder wie es Leon Goretzka am Mittwoch ausdrückte: „Man muss sehen, dass der Fußball das bleibt, was er war – ein Volkssport.“

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