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Gewonnen! Skispringer Karl Geiger freut sich in Engelberg über seinen ersten Weltcup-Sieg. Geiger gilt als Mitfavorit bei der Vierschanzentournee.

© Urs Flüeler/dpa

Skispringen: Karl Geiger als Gegenentwurf

Der 25-jährige Karl Geiger hat bei der Vierschanzentournee Chancen auf den ersten deutschen Gesamtsieg seit 17 Jahren.

Der Oberstdorfer Karl Geiger war schon als Kind regelmäßig beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee als Fan an der Schanze. Eine seiner ersten lebhaftesten Erinnerungen ist ein Sieg von Martin Schmitt, der zwischen 1998 und 2000 dreimal hintereinander am Schattenberg triumphierte: „Das war schon ziemlich cool damals.“ Diesmal ist Geiger selbst der größte Hoffnungsträger der deutschen Skispringer.

Sein einstiges Idol Schmitt traut ihm beim am Wochenende in Oberstdorf beginnenden Skisprung-Grand-Slam alles zu: „Wer bei der Generalprobe in Engelberg gewinnt, kann auch die Tournee gewinnen. Mich erinnert die Situation ein bisschen an die der Österreicher – die hatten bei der Tournee auch eine lange Durststrecke wie die Deutschen heute. Und dann hat nicht einer der Stars wie Thomas Morgenstern oder Gregor Schlierenzauer den Bann gebrochen – sondern mit Wolfgang Loitzl ein Mann aus der zweiten Reihe.“

2009 feierte Loitzl den ersten österreichischen Gesamtsieg nach neun Jahren. Die Deutschen warten sogar seit 17 Jahren auf einen Triumph. Eine verflixte Situation auch für Werner Schuster, der in seiner Ära als Bundestrainer seit 2008 sonst alle anderen wichtigen Titel gewonnen hat. „Das würde ganz gut passen, wenn man so lange auf einen Tournee-Gesamtsieg wartet und dabei immer an die Namen Wellinger, Freund oder Freitag denkt. Und am Ende schafft es jemand ganz anders. Aber so was kann man nicht herbeireden, das muss einfach passieren“, sagt Schuster.

Passiert ist bei Karl Geiger in den letzten Monaten allerlei Überraschendes. Im Februar gehörte der Allgäuer zum deutschen Team, das in Pyeongchang Olympia-Silber im Mannschaftswettbewerb gewann. Das war der Knotenlöser für den eher introvertierten Mann, der zuvor im Schatten seiner prominenten Teamkollegen stand. Mit Platz zwei in der Gesamtwertung beim Sommer-Grand-Prix deutete er seine neuen Ambitionen an, ehe er sich nun endgültig in der Weltspitze etabliert hat.

Geiger spielt in seiner Freizeit Harmonika, liebt das Gleitschirmfliegen und studiert Energie- und Umwelttechnik

„Karl hat noch einmal einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht – sportlich, genauso wie im Kopf und in der Entwicklung seiner Persönlichkeit“, lobt Schuster. Geiger landete in den jüngsten drei Weltcup-Springen jeweils unter den besten fünf. Der Sieg in Engelberg war der erste im Weltcup. So ist der 1,81 Meter große Athlet nun statt der formschwachen Olympiasieger Andreas Wellinger und Severin Freund sowie dem körperlich angeschlagenen Richard Freitag die zarte deutsche Hoffnung auf den Sieg.

„Karl Geiger ist der Gegenentwurf zu den leichten Springern wie Ryoyu Kobayashi oder Kamil Stoch und macht den großgewachseneren Springern wieder Hoffnung. Er hat eine unheimlich gute Absprungkraft, eine stabile Technik, ist ein guter Wettkampftyp und bringt die Konstanz mit, um auch so einen Wettbewerb wie die Tournee zu gewinnen“, sagt ZDF-Experte Toni Innauer. „Vielleicht muss ja ein Oberstdorfer her, um den Bann für die Deutschen zu brechen.“

Der Familienname Geiger steht im deutschen Skisport gleich in mehreren Disziplinen als Synonym für Weltklasse. Bei Olympia in Südkorea gehörten auch die Slalom-Spezialistin Christina Geiger und der Kombinierer Vinzenz Geiger zum deutschen Aufgebot. Vinzenz wurde sogar Team-Olympiasieger. „Ich glaube, Vinzenz ist mein Groß-Groß-Groß-Cousin. Mit Christina bin ich meines Wissens nicht verwandt“, sagt der 25-Jährige.

Die Familie mit seinen Eltern sowie den beiden Schwestern ist der große Rückhalt des Fliegers, der mit seiner Freundin zusammenwohnt. Geiger spielt in seiner Freizeit Harmonika, liebt das Gleitschirmfliegen und studiert Energie- und Umwelttechnik. „Das Studium ist mein zweites Standbein und eine Absicherung für später.“ Klingt so bodenständig, wie Geiger nun mal ist.

So geht er auch in die Vierschanzentournee, obwohl er zu den Mitfavoriten zählt. „Ich kann doch entspannt in die Tournee starten, weil ich so gut wie nie zuvor springe. Außerdem haben wir viele gute Springer im Team“, sagt Geiger und fügt hinzu: „Natürlich ist es ein Ziel von uns, dass wir die Tournee nach so langer Zeit mal gewinnen. Aber das Wichtigste ist, dass wir unser Zeug machen.“ Genau das hat auch Sven Hannawald immer gesagt, als er sich vor 17 Jahren zum bislang letzten deutschen Gesamtsieger krönte.

Lars Becker

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