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Sport: Klassisch befreit

Tobias Angerer holt Bronze über 15 Kilometer und lässt die deutschen Langläufer auf die Staffel hoffen

Ein letzter kraftvoller Schub eines entkräfteten Körpers, ein lautes und erlösendes „Jaaaaa“. Dann fiel Tobias Angerer vornüber in den Schnee und blieb reglos liegen. Der 28 Jahre alte Langläufer aus Vachendorf war fix und fertig. Aber er hatte eine Medaille. „Ich habe die Drei aufleuchten sehen, habe mich wieder hingelegt, habe dann noch mal hingeschaut, ob es wirklich die Drei war. Dann wollte ich mich nur noch ausruhen“, sagte er über seinen schönsten Moment als Sportler.

Zwei Minuten brauchte der Bayer, bis er wieder bei Kräften war, um aufzustehen. Dann fiel ihm Axel Teichmann um den Hals. „Wir haben beide geheult. Es war sehr emotional“, sagte Angerer. Er war die ganze Zeit traurig gewesen, dass der verletzte Freund nicht teilnehmen konnte. „Ohne Axel und das gemeinsame Training hätte ich die Medaille nicht gewonnen.“ Im dichten Schneetreiben, unter Bedingungen, die Bundestrainer Jochen Behle als katastrophal bezeichnete, siegte im klassischen Stil über 15 Kilometer wie vor vier Jahren in Salt Lake City der Este Andrus Veerpalu, 14,5 Sekunden vor dem Tschechen Lukas Bauer und 19,2 Sekunden vor Angerer.

Nach Tagen der Erfolglosigkeit und schon aufkommender Unruhe wirkte die Medaille wie eine Befreiung im Lager der deutschen Langläufer. „Medaille da – Druck weg“, sagte Angerer lakonisch. Die Medaille gehöre der ganzen Mannschaft, vor allem auch Axel Teichmann, der am Vorabend zum Zuschauen angereist war. Nun blickt das Team voller Zuversicht der Staffel am Sonntag entgegen. „Mit diesem Ergebnis im Rücken ist eine andere Motivation, ein anderes Selbstbewusstsein wieder da“, sagte Bundestrainer Jochen Behle. Denn auch Andreas Schlüter (7.) und René Sommerfeldt (12.) waren sehr schnell durch den Neuschnee gelaufen. Teichmanns Ersatzmann Franz Göring lief auf Rang 44. Daraus ergibt sich die Frage, wer am Sonntag der vierte Läufer in der Staffel sein wird. „Vielleicht Axel“, sagte Behle, was sicherlich nicht ernst gemeint war. „Ich habe sechs Mann hier und werde alle sechs Mann melden.“

Der Tag hatte für Tobias Angerer „schon perfekt“ begonnen. Als er morgens aus dem Fenster schaute, freute er sich über den dichten Schneefall. „Ich laufe gern, wenn’s schneit. Dann ist die Spur ein wenig wacklig. Da fühle ich mich wohler als in einem festen Gleis.“ Mit der Startnummer 99 ging Angerer als Letzter in die Loipe. Nach sechs Kilometern war er bereits Erster, holte den 30 Sekunden vor ihm gestarteten Weltmeister Vincent Vittoz (Frankreich) ein und hielt sich zunächst in dessen Windschatten. Nach zehn Kilometern war Angerer nur noch Dritter. „Da hatte er eine schwächere Phase“, beschrieb Behle die schwierigste Situation im Rennen. Beim zweiten steilen und langen Anstieg auf der 7500 Meter langen Schleife wurden die Beine schwer. Angerer kämpfte verbissen. „Oben auf dem höchsten Punkt habe ich ganz schön gewackelt“, gestand er.

Es ging jetzt nur noch um Bronze – und um Sekunden im Kampf gegen den Russen Wassili Rotschew, dem Sprintweltmeister von Oberstdorf, von dem Angerer wusste: „Der ist schnell auf den letzten Metern. Bis 300 Meter vor dem Ziel waren wir noch zeitgleich.“ Was danach passierte, habe er nicht mehr mitbekommen. Im Unterbewusstsein habe er sich über die Zielgerade gekämpft. „Das war nur noch Wille, und ich bin ins Ziel gefallen.“ 3,9 Sekunden hatte er gegenüber Rotschew noch rausgeholt. Und dann lag er direkt hinter dem Ziel im Schnee.

Für die ersten drei gab es keine Blumenzeremonie, sondern gleich die Medaillenehrung. Angerer fand das schade und nicht die würdige Anerkennung für Veerpalu, Bauer und für sich. „Das ging hier völlig unter. Das war eine Ehrung wie beim Weltcup. Auf der Medal Plaza in Turin ist viel mehr los. Da begreifst du erst richtig, dass du eine Medaille gewonnen hast.“

Hartmut Scherzer[Pragelato]

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