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Sport: Konzentration, bitte!

Kurz vor WM-Beginn stört ein südamerikanisches Fernsehmodel die Vorbereitung der Costa-Ricaner

Es ist kurz nach halb elf, als in der Idylle von Walldorf das Chaos ausbricht. Auf dem Rasen des Waldstadions trainiert die Nationalmannschaft Costa Ricas, aber das interessiert zwei Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel keinen mehr, erst recht nicht die knapp 50 mittelamerikanischen Journalisten. Es gibt jetzt Wichtigeres, besser gesagt: eine Wichtigere. Sie trägt Stöckelschuhe, goldene Ohrringe und sonst nicht viel. Die Dame heißt Alicia Machado, und mit ihrem Auftritt nimmt die vormittägliche Siesta in der badischen Sonne ein plötzliches Ende. Wie auf ein Kommando stürmen die Reporter heran, jeder will ein Interview oder ein Erinnerungsfoto, sollen die „Ticos“, die Nationalspieler, doch machen, was sie wollen. Gustavo Jimenez von der Tageszeitung „La Nacion“ sagt: „Ich war schon hundertmal beim Training der Nationalmannschaft. Aber so spannend war es noch nie!“

Zwei Tage vor dem WM-Start tun sich seltsame Dinge im Trainingscamp des ersten deutschen Vorrundengegners. Irritiert schauen die Spieler hinüber zur Laufbahn. Man muss sich das so vorstellen, als würde eine knapp geschürzte Mischung aus Verena Feldbusch und Heidi Klum mit Kameramann im Gefolge ins deutsche Quartier einziehen, pünktlich zur taktischen Einstimmung von Jürgen Klinsmann. Alicia Machado ist in Lateinamerika so populär wie hier Verona Feldbusch und Heidi Klum zusammen, wobei ihre Imagewerte sich eher zwischen Ariane Sommer und Dolly Buster bewegen. Vor zehn Jahren war die Venezolanerin Miss Universe, jetzt arbeitet sie als Reporterin für den mexikanischen Sender Televisa. Ihre Fachgebiete sind gemäß Selbstauskunft Glamour und Nightlife. Allzu viel Glanz versprüht das von hohen Kiefern umrandete Waldstadion nicht, und der Stand der Sonne lässt vermuten, dass die Nacht noch weit entfernt ist. Aber Senora Machado hat sich vorgenommen, alle lateinamerikanischen Mannschaften bei dieser WM zu besuchen und ihnen ihre ganz persönliche Unterstützung zukommen zu lassen. Die Costaricaner sind als Erste dran, wenn auch schon zur Mittagsstunde.

Zehn Minuten lässt sie sich fotografieren und interviewen und äußert sich abseits ihrer Fachgebiete über WM-Favoriten, Lieblingsspieler und die Aussichten Costa Ricas. Dann will Alicia Machado selbst Programm machen, sie ist ja nicht zum Vergnügen hier. Mit schnellem Stöckelschritt eilt sie der Laufbahn entgegen. Dummerweise kommt der Ordner aus dem Badischen, er hat von Alicia Machado noch nie etwas gehört oder gesehen, und ihre anatomischen Argumente interessieren ihn nicht. Die Nightlife-Reporterin muss an der Absperrung stehen bleiben. „Pauuuulo Ceeeeesar! Pauuuulo Ceeeeesar!“, ruft sie, „komm her, ich möchte ein Interview mit dir machen!“ Costa Ricas Star Paulo Cesar Wanchope guckt ein wenig gequält, was wohl nicht nur an seiner Knieverletzung liegt, die hier bis zum Auftritt von Alicia Machado Gesprächsthema Nummer eins war.

Das Abschlusstraining der Costaricaner vor dem Umzug zum Spielort nach München kommt jetzt einer Farce bedenklich nahe. Nicht, dass die Ticos vorher viel und hart gearbeitet hätten. Dehnübungen, kurze Läufe und ein seltsames Spiel, bei dem der Ball mal mit der Hand, mal mit dem Fuß berührt wird. Dazu muss man wissen, dass Trainer Alexandre Guimaraes früher Basketballtrainer war. Er verlangt ja nicht viel von seinen Spielern, aber ein bisschen Konzentration soll es doch schon sein, bitte schön. Da passt es gut, dass der Sicherheitsdienst Alicia Machado und das restliche Reportercorps nach draußen komplimentiert. Ein halbes Stündchen traben die Spieler noch aus, dann plaudern sie über das Duell mit Deutschland. Trotz der zum Teil demütigenden Testspielergebnisse geben sich die Costaricaner so selbstbewusst, als wären sie und nicht der WM-Gastgeber der Favorit auf den Gruppensieg. Allgegenwärtig ist das Wort von Verteidiger Harold Wallace, er gehe fest von einem Sieg gegen die Deutschen aus. Das war vor Alicia Machados Mut machendem Besuch und nach einer 2:3-Niederlage gegen eine aus Dritt- und Viertligaspielern rekrutierte Kurpfalz-Auswahl. So offensiv mag sich Alexandre Guimaraes nicht äußern. Natürlich wäre auch schon ein Unentschieden ein Erfolg, sagt der Trainer: „Aber wir können doch nicht in so ein Turnier gehen und sagen: Wahrscheinlich werden wir verlieren.“

Paulo Wanchope drückt sich ähnlich aus: „Wir haben unsere Qualitäten, die Deutschen haben wahrscheinlich mehr, aber wir sind bereit, eine Überraschung zu schaffen.“ Der Stürmer hat früher mal für Manchester City gespielt. Bei seinem jüngsten Engagement in Katar hat Wanchope allerdings, im besten Fußballspieleralter von 29 Jahren, finanzielle vor sportliche Aspekte gestellt. Für die WM-Vorbereitung ist er wieder in die Heimat zurückgekehrt. Wegen Schmerzen im rechten Knie konnte er die Vorbereitung nur mit Einschränkungen absolvieren. Wird das Knie halten? „Diese Frage kann ich nicht mehr hören“, sagt Wanchope, „das habt ihr mich doch schon tausend Mal gefragt. Geht mal davon aus, dass ich zu hundert Prozent fit bin. Ich werde spielen.“

Alicia Machado hat lange und geduldig gewartet. Vor der Abfahrt zum Hotel bekommt sie doch noch ihr Interview. „Pauuuulo Ceeeeesar, was müsst ihr tun, um gegen die Deutschen zu gewinnen?“ Wanchope sagt ein paar Belanglosigkeiten und einen Satz, der ihm wichtig ist: „Vor allem müssen wir uns konzentrieren, verstehst du, wir müssen uns konzentrieren.“ Keiner weiß so genau, ob Senora Machado verstanden hat, aber ihr erster Arbeitstag im Dienst der lateinamerikanischen Sache ist beendet. Als Nächste will sie die Mexikaner besuchen. Oder die Argentinier. Oder die Paraguayer. Von Alicia Machado wird bei dieser Weltmeisterschaft wohl noch zu hören sein.

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