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Sport: Live aus dem Elfenbeinturm: Das Lob des Tores

Immer den Bekloppten nach! Wahrlich, der Weg zu mir ist leicht zu finden.

Immer den Bekloppten nach! Wahrlich, der Weg zu mir ist leicht zu finden. Schaut sie euch an, gleich Narren in bunte Fetzen gehüllt, mit Kappen wie Eselsohren, Fahnen, Tuten und Blasen bewehrt, als spielten Kinder Krieg oder Geburtstag, so strömen sie in Scharen zu mir, dem Quell ihres Lebens. Wie beim ersten schmeichlerischen Hauch des Frühlings die Welt ein neues Gesicht erhält, so strahlen auch ihre Gesichter nach langer Winterpause. Sehnend nach meiner Wohltat, die den Geist mit Freudentaumel erfüllt.

Ich scherze nicht. Denn was auch immer man sagt - ich weiß sehr wohl, in welch schlechtem Ruf ich gerade bei den höchsten Gelehrten stehe -, so behaupte ich dennoch, aus eigener Macht Götter und Menschen in meinen Bann zu schlagen. Wovon träumen sie denn, die Kinder dieser Welt, für wen schlägt das Herz ihrer Väter, wer eigentlich vermag es zu Tränen zu rühren? Wen sehnt man herbei in Stunden der Not, auf wen wettet man noch sein Leben?

Ich Tor bin es und niemand sonst! Aus eigener Kraft stürzte ich Staaten und erschuf sie neu. Meine Gefährlichkeit ist dem Diktator und der Hausfrau gleichermaßen vertraut. Wie viele freudlose Ehen vermochte ich zu lösen, wie viele dunkle Häscher überwand meine List?

Schließlich genügt schon dies kleine Zappeln im Netz, und der Mensch gerät außer sich. Tooooooooooor! Dann bin Ich ganz Ich als der Moment, in dem alles möglich erscheint. In dem Wilde und Fremde sich inniglich herzen, Generationen zueinander finden, Grenzen fallen. Fürwahr, wo ich mich öffne, wanken Mauern.

Selbst die größten Philosophen geben mittlerweile zu, dass es ein gerade gezogener Strich - Differenz genannt - ist , der den wogenden Ursprung allen Sinns markiert. Meine Fans haben dies, notabene, schon immer gewusst! Einer klugen Kugel, einer klaren Linie und der Liebe zum Spiel, mehr hat es zur Einsicht nämlich nie bedurft. Nein, um mir folgen zu können, braucht das Leben sich nicht hinter Büchern zu verstecken. Denn ob er drin ist oder nicht, wissen gerade die schlichtesten Geister am besten zu sagen. Und dass er am Ende rein muss, nun, ist dies, frage ich, nicht das Gesetz, das Mutter Natur uns Spielern mit allerdeutlichster Schrift ins Zentrum schrieb?

Zwar wirft man mir oft vor, ich sei launisch und ungerecht, doch kann dies nur falsch sein. Schließlich bin ich stets auf beiden Seiten des Feldes gleichermaßen zu finden und stehe zudem, wie die Kirche Christi, im Prinzip allen offen. Präsidenten mögen deshalb faseln, was immer sie wollen. Bin ich erst einmal aus heiterem Himmel gefallen, war es noch immer gleichgültig, ob es ein Furtok, Klinsmann, Müller oder Agali war, der mich erzielte. Darin liegt ja gerade mein größter Spaß: auch den geistig Kahlen meines Gefolges die Narrenkappe aufzusetzen. Wenn meine plötzliche Offenbarung deren Uh! Uh! Uh! blitzschnell in Jauchzen verwandelt; und der tumbe Spruch am Jubelarm sich sodann als "Ich bin stolz, ein Tor zu sein!" lesen lässt.

Jetzt, da ich mich so bespiegele, fällt mir erst auf, dass kein Wunder wunderbarer ist als ich - und dabei habe ich gerade erst angefangen. Vor den Rätseln, die ich der Welt stelle, müssen selbst schwarze Löcher erblassen. Nein, noch kein Sterblicher vermochte meine glanzvollsten Auftritte in Wembley oder Barcelona - nach Ablauf der Spielzeit! - zu erklären, ohne sich dabei zum Narren zu machen. Man zeige ihn mir, den Formalismus, der hier für Klarheit sorgte! Und schon morgen werde ich euch allen mit einem neuen Streich das Staunen lehren!

Muss ich erst daran erinnern, dass es einst Gott selbst war, der mich auf Händen über die Linie trug? Ein irregulärer Treffer! so frömmeln sie noch immer, ohne zu verstehen. Denn ich tat es aus Liebe. Und würde es wieder tun. Tore seid ihr Menschen, doch loben wolltet ihr mich nicht. So halte ich mich an das Sprichwort, ein jeder habe das Recht, sich zu loben, wenn ihm kein anderer den Gefallen tut. Das Eigentor zählt ja auch.

Und nicht ohne Grund wird der König dieser feinen Kunst noch heute als Kaiser geehrt. Denn gerade, wenn ich derart ungeschickt falle, wisst ihr mich am nächsten. Es gehört nun einmal zum menschlichen Wesen, dass jeder ein gerüttelt Maß an Fehlern macht. Und der Beste ist, der davon am wenigsten bedrückt wird. Da bin ich Tor also wieder, falle euch zu Füßen und trinke auf mein eigenes Lob. Schließlich hängt auch im Fußball, wie der törichte Erasmus schon vor 500 Jahren so treffend schrieb, das Glück zum großen Teil davon ab, dass du innerlich ja zu dir sagst.

Lebt also wohl, jubelt und lobt so, wie ich, aus vollem Herzen euer närrisches Selbst.

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