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WM 2014 - Deutsches Quartier: Luxus mitten im Indianerland

Das deutsche Quartier für die Fußball-WM in Brasilien wird streng bewacht. Es liegt im Fischerdörfchen Santo André - und wurde eigens für den DFB-Tross errichtet. Nicht wenige Einheimische sind deshalb irritiert. Ein Ortsbesuch.

Der Polizist mit dem ernsten Gesichtsausdruck, der in einer schusssicheren Weste steckt, sieht irgendwie putzig aus. Ein Jüngling im Bastrock hat ihm soeben einen Flitzebogen in die Hand gedrückt. Der Jüngling gehört zu einer kleinen gemischten Gruppe von Nachfahren der hier ansässigen Pataxo-Indianer, die sich zur Feier des Tages ins traditionelle Outfits geworfen hat. Die Feier des Tages ist ein öffentliches Training der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, die zu diesem Zwecke ihren streng verbarrikadierten Trainingsplatz für ein Weilchen geöffnet hat. Mit Sing und Sang und Flitzebogen marschiert also die kleine Gruppe durch das Tor und gibt allerlei Weisen zum Besten.

Doch ganz so heiter lässt sich die Landnahme durch die Deutschen nicht an, hier in Santo André, wo in den vergangenen neun Monaten ein Luxusresort aus dem Boden gestampft wurde und für reichlich Irritationen sorgte. Als einziges aller 32 WM-Teams bezog die deutsche Delegation keine bereits vorhandene Anlage in dem riesigen WM-Land, sondern ließ sich eins anfertigen. Campo Bahia heißt die neue Herberge, die mitten ins Indianerland des Bundesstaates Bahia direkt an der Kante zum Ozean gezimmert wurde.

Das kleine Fischerkaff Santo André liegt idyllisch an einer ursprünglichen und kraftvollen Küste, die vor über 500 Jahren ziemliche Berühmtheit erlangte. In der benachbarten Gemeinde Santa Cruz Cabralia liegt die vom türkisfarbenen Ozeanwasser umspülte Wiege Brasiliens.

Das deutsche Quartier im Dorf ist hermetisch abgeriegelt

Wer sich Santo André über den Landweg von Süden her nähert, befährt die Straße der Entdeckung. Sie verläuft rund 700 Kilometer südlich von Salvador entfernt, der Hauptstadt Bahias. Wer dann auf die kleine Landzunge der Deutschen will, muss den Rio Joao de Tiba überqueren, was ausschließlich mit rostigen Fähren geschieht. Ein Viertelstündchen dauert die Passage entlang von Mangrovenwäldern und hölzernen Schiffswracks.

Ein paar Autominuten später erreicht man das Campo Bahia, das Germanische Dorf, wie es Teammanager Oliver Bierhoff liebevoll nennt. Das heißt, man erreicht es nicht ganz. Das 15 000 Quadratmeter große Dörfchen im Dorf ist hermetisch abgeriegelt. Jeeps der Militärpolizei versperren den lehmigen Zuweg, was nicht ganz im Sinne der Anwohner ist. 20 Jahre lang sollen sie hier keinen Polizisten mehr zu Gesicht bekommen haben. Nun sind es 200 Elitebeamte, die im Schichtdienst das Fischerdorf in Schach halten.

„Die Sicherheitsarchitektur liegt nicht in unseren Händen“, sagt Helmut Sandrock. Als Generalsekretär des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) führt er die Delegation an und verweist auf die Auflagen des Weltverbandes Fifa sowie die des WM-Gastgeberlandes. Sandrock spricht von „Verbindungsbeamten“, meint damit aber nicht die eigenen Sicherheitsleute, die die Mannschaft zusätzlich abschirmen. Nicht wenige Einheimische werden sich fragen, wer hier eigentlich wen bewacht?

"Fifa Mafia" und Hakenkreuze in roter Farbe sind auf Mauern gekritzelt

Das Buhei hat Gründe, denn noch vor den Deutschen waren vereinzelte Proteste hier. Auf dem Weg zum Campo Bahia sind auch unschöne Dinge auf Steine und Mauern gekritzelt – „Fifa Mafia“ und Hakenkreuze in roter Farbe. Die offiziellen Grußworte prangen an diesem Tag von der Brust der deutschen Spieler. „Wir sind glücklich, hier zu sein“, steht da in Landessprache geschrieben, auf der Kehrseite steht: „Obrigado Bahia“ – danke Bahia.

Ein paar hundert Einheimische schauen vorbei an diesem Tag bei den Deutschen auf deren ebenfalls neuerbautem Trainingsgelände. Es liegt etwa eineinhalb Kilometer vom Campo Bahia entfernt. Zur Bewältigung dieser Strecke sind die 23 deutschen Spieler auf vier Kleinbusse verteilt, die in Kolonne und unter Blaulicht fahren. Vorneweg eine staatliche Motorradstaffel der Polizei, hintendran ein Operationszimmer auf vier Rädern. Das alles wirkt ein bisschen albern, soll aber den Sicherheitsbestimmungen der Fifa zuzuschreiben sein.

Der Trainingsplatz selbst ist von vorzüglicher Qualität. Auch hier überließ der DFB nichts dem Zufall. Rainer Ernst, ein weltweit anerkannter Rasenfachmann, hat wochenlang gewerkelt. Wie es heißt, soll er Rasen der Marke Bermuda angelegt haben, ein Grün also, wie es auch im Maracana, dem Ort des WM-Finals in Rio, vorzufinden ist. Und damit der zweieinhalb Meter hohe Holzzaun, der das Trainingsgelände umzingelt, nicht ganz so bedrohlich auf die Einheimischen wirkt, hat Ernsts Tochter gleich noch zum Pinsel gegriffen. Zusammen mit einigen Schülern der Gegend hat die Studentin der Offenbacher Hochschule für Gestaltung die „Sichtschutzwand“ (Bierhoff) auf einer Länge von 100 Metern malerisch verziert.

Am Ende der Einheit nehmen die Indios Miroslav Klose in ihre tanzende Mitte. „Jetzt hoffen wir, dass wir den Rhythmus auch auf den Platz übertragen können“, sagt Bierhoff. Auch Klose lächelt in die Runde. Er ringt noch um Rhythmus. Aber heute hat er Geburtstag – seinen sechsunddreißigsten.

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