Sport: „Mehr Zuwanderer in deutsche Vereine“
Die DFB-Integrationsbeauftragte Gül Keskinler über gegenseitiges Lernen und Probleme, die keine sind
Stand:
Frau Keskinler, den Job als Integrationsbeauftragte gab es beim DFB nicht, bevor Sie am 1. Dezember 2006 ihre Arbeit aufgenommen haben. Was sollen Sie denn beim DFB genau machen?
Ziel meiner Arbeit ist die Integration von Zugewanderten in die Mitte der Gesellschaft. Fußball kann ein Weg dorthin sein. Der DFB will Zuwanderer ermuntern, stärker in deutsche Vereine einzutreten, gleichzeitig die Öffnung der Klubs fördern. Das heißt, Neuzuwanderer oder Deutsche mit Migrationshintergrund sollen verstärkt zu Trainern und Schiedsrichtern ausgebildet werden oder in Vorständen und anderen Gremien mitarbeiten. So können beide Seiten lernen, dass kulturelle Vielfalt Vorteile für alle bringt.
Worin bestehen diese Vorteile?
In Deutschland werden zu wenige Kinder geboren, die Gesellschaft droht zu überaltern. Das zeigt sich auch in den Fußballvereinen. Einige alteingesessene Fußballklubs haben sich deshalb bereits mit Vereinen zusammengeschlossen, die von Ausländern gegründet wurden – ein Gewinn für beide. Zuwanderer sind auch deshalb eine Bereicherung, weil sie neue Ideen und Sichtweisen mitbringen, wodurch sich ein Land weiterentwickeln kann.
In der Öffentlichkeit geht es im Zusammenhang mit Migranten zurzeit hauptsächlich um Gewalt an Schulen, Straßengangs, Überfälle oder Drogenhandel. Steckt dahinter nur Hysterie?
Vieles wird wirklich übertrieben dargestellt. Aber Problemfälle gibt es. Viele Kinder von Zuwanderern leben schon in der dritten Generation hier und haben sich dennoch nicht in die Mitte der Gesellschaft entwickelt. Das ist sehr traurig und frustrierend, wenn man weiß, dass sie einfach nicht die gleichen Chancen hatten. Viele fühlen sich weder hier noch im Herkunftsland ihrer Eltern heimisch, leben in sozial schwierigen Verhältnissen und hängen in Bildungsschleifen fest. Das liegt daran, dass man vor allem Leute nach Deutschland geholt hat, die beruflich nicht ausreichend qualifiziert waren.
Wäre es denn besser gewesen, den Zustrom an Zuwanderern zu begrenzen?
Auf jeden Fall hat man damals vieles verpasst, auch weil das Thema tabuisiert wurde. Heute gibt es endlich Integrationskurse – aber an denen müssen jetzt auch noch Mitglieder der ersten Generation teilnehmen, weil sie weder die Sprache noch die Kultur kennen. Ich zum Beispiel hatte Glück. Mein Vater kam als Gastarbeiter aus Istanbul zufällig nach Bergisch Gladbach, eine gutbürgerliche Gegend. Wir hatten kaum türkische Familien in unserer Nähe, und deshalb mussten wir Kinder Deutsch lernen und in den Sportverein gehen, weil wir ja nicht alleine spielen wollten. So hatten wir schnell deutsche Freunde und den Zugang zu Bildung und Freizeitmöglichkeiten.
Welches sind denn die größten Hürden bei der Integration?
Eine Hürde ist die eher individualistische Lebensweise. In südeuropäischen, nordafrikanischen, nahöstlichen und osteuropäischen Ländern gibt die Familie den Menschen die Sicherheit im Leben. Den Menschen fehlt hier das Gefühl der Zusammengehörigkeit und Solidarität – das beklagen ja auch viele Deutsche.
Und was kann der Sport daran ändern?
Was Sport bewirken kann, hat man vor allem bei der WM gesehen. Da haben die Deutschen begonnen, ihre Fahne zu mögen. Das war eine schöne Entwicklung. So ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Solidarität kann der Sport viel besser vermitteln als die Politik. Darin liegt eine große Chance – auch für die Integration.
Ist das auch die Grundlage für Ihre Arbeit?
Ja, absolut. Sport ist für mich ein Medium. Er bringt die Menschen zusammen und kann erreichen, dass Migranten und Deutsche sich wirklich anfreunden.
Mit welchen Projekten soll die Integration jetzt beim DFB gefördert werden?
Für Hessen haben wir zum Beispiel mit Kooperationspartnern das Konzept „Fußball ist das Tor zum Lernen“ entwickelt. 30 arbeitslose Jugendliche, von denen einige keinen Schulabschluss haben, werden wir in zehn Monaten zu Trainern ausbilden. Auf diese Weise stärken wir ihr Selbstbewusstsein und geben ihnen einen Platz in der Gesellschaft. Am Ende werden wir sie als ehrenamtliche Trainer in die Vereine einbinden. In Berlin arbeiten wir an einem Fußballprojekt für ausländische Mädchen. Und es sind viele weitere Integrationsprojekte geplant.
Und was wird aus den Jugendlichen, die sich nicht mehr integrieren wollen, sich in Gangs organisieren und gewaltbereit sind?
Auch hier kann Fußball ansetzen. Wir wollen Jugendliche aus dieser perspektivlosen Situation herausholen. Im Sportverein haben sie die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und Vorbild für andere zu sein, sei es als Trainer, Schiedsrichter oder als Spieler. Wenn sie sich aufgenommen fühlen, ändert sich auch ihr Verhalten gegenüber anderen. Doch bisher gibt es auf beiden Seiten Vorbehalte. Diese wollen wir durch interkulturelle Schulungen abbauen.
Was lernt man in einer interkulturellen Schulung?
Es geht einfach darum, dass sich Zuwanderer und Einheimische über ihre eigenen Vorstellungen klar werden und auch die Wertewelt des anderen kennenlernen. In den Kursen wird über Unterschiede gesprochen – das fördert die Toleranz.
Wollen Deutsche sich denn überhaupt auf diese kulturellen Unterschiede einlassen? Verstehen wir unter gelungener Integration nicht eher, dass Menschen, die zu uns kommen, nach unserer Wertevorstellung leben sollen?
Was gelungene Integration ist, weiß ich nicht. Bin ich mit meiner Familie ein Beispiel dafür? Weil ich studiert habe und berufstätig bin? Oder ist die Integration bei mir vielleicht doch misslungen, weil ich mit einem Türken verheiratet bin? Ich halte es für falsch, junge Menschen zu stigmatisieren, weil sie einen Migrationshintergrund haben. Sie wollen einfach als normale Deutsche wahrgenommen werden, denn sie sind ja hier geboren, und ihre Eltern zum Teil auch. Viele sind genervt, weil sie entweder als Problemfall oder als Musterbeispiel gesehen werden.
Ziehen sie sich auch deshalb in ihre eigenen türkischen, griechischen oder italienischen Vereine zurück?
Ja. Die meisten monoethnischen Vereine wurden von Gastarbeitern in den 70er Jahren gegründet, die kaum oder schlecht Deutsch sprachen, sich in hiesigen Klubs nicht willkommen fühlten oder einfach Anschluss zu Landsleuten suchten. Sie dachten, sie würden Deutschland nach ein paar Jahren den Rücken kehren. Heute geraten deutsche Traditionsklubs und diese Vereine aneinander, weil sie um Ressourcen konkurrieren. Es gibt in kaum einer Stadt ausreichend Fußballplätze und Trainingszeiten. Natürlich beanspruchen deutsche Vereine, die vielleicht schon seit 100 Jahren dort spielen, diese Zeiten für sich. So fühlt sich ein monoethnischer Verein schnell diskriminiert. Im Streit kochen Emotionen hoch, und Vorurteile treten zutage. Und plötzlich meint man, ein ethnisches Problem zu haben. Dabei geht es hier doch nur darum, dass es nicht genügend Sportplätze gibt.
Das Gespräch führte Dagny Lüdemann.
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