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Sport: Mit letzter Kraft um die letzten Sekunden

Heute entscheidet sich beim Zeitfahren die Tour – Klöden glaubt an den Gesamtsieg von Landis

Andreas Klöden sieht noch schmaler aus als sonst. Wie viel seiner 62 Kilogramm Startgewicht nach drei Tour-Wochen noch übrig sind, will Klöden nicht wissen. „Ich bin so ziemlich an meiner Grenze“, sagt er, während er sich müde in einen Gartenstuhl sinken lässt. Der Dienstag in L’Alpe d’Huez, als Klöden mit Floyd Landis mitfuhr, erzählt er, sei sein bester Tag bei dieser Tour gewesen. Seitdem werde es jeden Tag schwerer. Auf der letzten Alpenetappe nach Morzine habe er ums Überleben gekämpft.

Als am Schlussanstieg zum Col de Joux Plane Carlos Sastre angriff, konnte Klöden nicht mehr reagieren – die Muskeln weigerten sich, den Zug auf die Fahrradkette zu erhöhen. Klöden verlor zwar auf den Träger des Gelben Trikots, Oscar Pereiro, keine zusätzliche Zeit. Zwischen dem Spitzentrio Pereiro, Sastre, Landis und dem Deutschen klafft jedoch zwei Tage vor Paris nun eine Lücke von zwei Minuten. Die Zeit wird knapp.

Deshalb hat Klöden sich damit abgefunden, dass es mit dem Tour-Sieg in diesem Jahr wohl nichts mehr wird. „Wenn Oscar Pereiro am Samstag einen ganz schlechten Tag hat und ich einen hervorragenden, kann ich noch unter die ersten drei kommen“, schätzt er seine Perspektive vor dem entscheidenden Zeitfahren ein. Für den Favoriten auf den Tour-Sieg hält Klöden jedoch Floyd Landis, der sich auf der letzten Alpenetappe nach seinem Einbruch am Tag zuvor mit einem Super-Comeback wieder bis auf 30 Sekunden an die Spitze herangekämpft hat. „Nach diesem Sieg weiß ich nicht, wer Floyd noch schlagen soll“, sagt Klöden.

Seit seinem Soloritt ist Landis in Frankreich eine Art Volksheld. Allerdings hatten die Franzosen den Amerikaner schon vorher in ihr Herz geschlossen. Der scheidende Tour-Direktor Jean Marie Leblanc bezeichnete ihn vergangene Woche als eine Art Anti-Armstrong. Landis sei kein arroganter Dominator; er brauche es nicht, jemanden zu provozieren, um sich zu motivieren. Und er ist ein „Baroudeur“ – ein Radfahrer mit Herz, wie ihn die Franzosen lieben.

Landis sagt, dass er lieber kalkuliert gefahren wäre. Aber sein Einbruch habe ihn zur Attacke gezwungen. Am Abend nach seinem schlechten Tag in La Tousuirre habe er ein Bier getrunken und dabei mit sich verhandelt, ob er resignieren soll oder nicht. Das Ergebnis: „Ich wollte kämpfen, ich wollte meiner Mannschaft zeigen, dass ich es verdiene, ihr Anführer zu sein.“ Von seinem ehemaligen Chef Armstrong, den er einst als Helfer in dessen Team unterstützte, unterscheidet Landis also vor allem das Tief – ohne die Schwäche wäre er nicht zum Helden geworden. Armstrong hatte sieben Jahre lang keinen echten Einbruch – diese Konstanz erscheint im Rückblick als anormal.

Bei Andreas Klöden gab es in der letzten Tour-Woche keinen dramatischen Einbruch, eher ein langsames Nachlassen. Angesichts der Tatsache, dass Klöden noch im April mit einer gebrochenen Schulter im Bett lag, war das kaum verwunderlich. Deshalb ist Klöden mit seiner Tour nicht unzufrieden. „Vor drei Wochen hätte ich an einen vierten Platz nicht geglaubt.“ Ein wenig enttäuscht ist Klöden nur, weil er zwischenzeitlich dem Sieg so nah gekommen war: „Das hat mir Appetit auf mehr gemacht.“ Beim heutigen Zeitfahren will Klöden mit seiner letzten Kraft angreifen – er ist schließlich der beste Zeitfahrer unter den vier Favoriten. Ob das ausreicht, um noch nach ganz vorn zu fahren? Andreas Klöden glaubt daran nicht mehr so recht.

Sebastian Moll[Macon]

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