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Sport: Oben

Hertha BSC ist Tabellenführer der Fußball-Bundesliga, aber wie geht der Klub damit um?

Berlin - Dieter Hoeneß hat ein nettes Spielzeug auf seinem Schreibtisch. Es ist ein kleiner Joystick. Mit diesem Ding kann er eine Kamera steuern, die sich ein paar hundert Meter entfernt auf einem Mast über dem Trainingsplatz von Hertha BSC befindet. Gedacht war diese Kamera eigentlich für Livebilder vom Training für das Internet, doch die Kamera gehorcht auch auf die Kommandos des Managers. So kann Hoeneß, wann immer er will (und Training ist), das Tun der kickenden Angestellten überwachen. Aus seinem hochlehnigen Bürosessel kann er beobachten, wer sich im Training reinhängt und wer nicht. Das tat er nicht nur in schlechten Zeiten, sondern auch in guten, wie diesen. Die Berliner sind Tabellenerster. Damit’s so bleibt, muss einiges unternommen werden. Mit allen Mitteln.

Dieter Hoeneß hat weit früher als all die anderen Managerkollegen seiner Branche eine Beziehung zur Computertechnik hergestellt. Mitte der Achtzigerjahre war er Generalvertreter von Commodore. Für den später untergegangenen Computerkonzern führte er die Konsole Amiga in den deutschen Markt ein. Doch der 53-Jährige ist alles andere als ein Freak. Den Joystick kann er bedienen. Aber Hoeneß ist ein Manager der alten – und wenn man so will – guten Schule, für den ein Gespräch durch nichts zu ersetzen ist.

Hertha BSC hat es nach dem vierten Spieltag der Bundesliga doch tatsächlich ans obere Ende der Tabelle gespült. Durch den 2:0-Sieg über Schalke machten die Berliner einen Satz vom zehnten Rang auf Platz eins. Hoeneß spricht von einer „wunderschönen Momentaufnahme“ und davon, dass so eine Tabellenführung „enorm wertvoll“ ist. „Sie gibt Mut, verleiht Selbstvertrauen und schweißt zusammen“, sagt er. Aber, und dabei zieht Hoeneß seine Brauen hoch: „Es besteht auch die Gefahr der Selbstgefälligkeit.“

Wie kann, wie sollte der Verein mit der Tabellenführung umgehen? Die Mannschaft ist mit einem Durchschnittsalter von knapp über 24 Jahren eine sehr junge. Die einzigen beiden Spieler im Team, die dabei waren, als Hertha im Dezember 2000 das bisher letzte Mal Tabellenführer war, sind Dick van Burik und Pal Dardai. Für den Rest der Mannschaft ist dieses Gefühl, ganz oben zu sein, ein völlig neues. Nicht jedem ist es gegeben, damit richtig umzugehen. Jedenfalls geht so etwas nicht über Nacht. Hoeneß wird diesen Prozess höchstselbst überwachen. „Wir werden ein bisschen darüber reden“, sagt Hoeneß und weiß, dass das mindestens ein bisschen geschummelt ist.

Eine Tabellenführung für einen Verein, der sich keine konkrete Platzierung als Saisonziel verpasst hat, kann ganz unterschiedlich wirken. Die positiven Auswirkungen sollten überwiegen. Platz eins sei schon deswegen wichtig, „um zu sehen, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagt Hoeneß. Anders als im Europacup und im DFB-Pokal spiele die Mannschaft im Kerngeschäft Bundesliga mutig nach vorn und trete als Team auf. Ein Vergleich zur Entwicklung der deutschen Nationalmannschaft unter Jürgen Klinsmann ist nicht völlig abwegig. Klinsmann vertraute vielen jungen Spielern, die das Gefühl bekamen, im ihnen verordneten Offensivdrang Fehler machen zu dürfen. Über Siege holten sie sich Vertrauen in die Vorgaben des Trainers und in ihr eigenes Tun. Daraus entwickelte sich allmählich ein Gefühl der Stärke, das tragen kann. „Wir genießen die Tabellenführung jetzt ein, zwei Tage. Ab Dienstag konzentrieren wir uns auf Mainz“, sagte van Burik. Der Holländer kennt aus eigener Erfahrung die Chancen, aber auch die Gefahren. „Die Platzierung weckt natürlich überall Erwartungen. Wir müssen sehen, ob wir als Mannschaft schon so gewachsen sind.“ Van Burik, der innerhalb der Mannschaft großen Einfluss hat, ist im steten Kontakt mit den jungen Spielern. Jetzt ist er noch mehr gefordert. „Ja, aber das ist doch eine schöne Aufgabe.“

Ganz ähnlich sieht das Falko Götz. Der Trainer, sonst nicht gerade für emotionale Ausbrüche bekannt, kramte am Sonntagabend lange nach passenden Worten. „Als Spieler beim BFC war ich fünf Jahre lang Tabellenführer, aber als Trainer ist das ein Debüt – ein geiles Gefühl“, sagte Götz. Jetzt hoffe er nur, „dass wir uns das möglichst lange erhalten können“. Hertha sei in der Vergangenheit oft auf den Berg gekrochen und dann wieder schnell runtergerutscht, sagte Götz direkt nach dem Spiel. Mit etwas Abstand formulierte er: „Wir haben hier in Berlin schon oft Euphorie gehabt, jetzt müssen wir darauf achten, dass wir sie in die richtigen Bahnen lenken.“

Dieter Hoeneß mag sich nun gar nicht von der Tabellenführung verführen lassen. „Wir sollten jetzt nicht durchdrehen“, sagt er. Klar, er sei sehr erfreut darüber, aber vielmehr „bin ich überrascht, dass man nach vier Spieltagen mit acht Punkten ganz oben steht“. Tatsächlich profitierte Hertha von den Patzern der Kontrahenten. Man solle daher den Spitzenplatz „richtig einordnen“.

Der Tag eins nach Übernahme der Tabellenführung begann mit weniger guten Nachrichten. Die Stammspieler Bastürk und Gilberto fallen drei beziehungsweise acht Wochen verletzt aus. Bastürk erlitt im Spiel einen Riss des Außenbandes, Gilberto einen Riss des Syndesmosebandes. „Momentan traue ich der Mannschaft zu, dass sie das kurzfristig ausgleichen kann. Langfristig ist es natürlich schwierig“, sagt Hoeneß.

Die Kamera über dem Trainingsgelände stand gestern still. Die Fußballer hatten trainingsfrei.

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