Sport: Rette sich, wer kann

Wenn am Millerntor gespielt wird, sitzen Phantom-Fans im Stadion. Denn nachdem die Zuschauer auf der Haupttribüne und der Gegengerade nacheinander „St. Pauli! St. Pauli!“ gebrüllt haben, schreien die Anheizer „Süd-tri-bü-ne, Süd-tri-bü-ne“. Doch aus dem Gästeblock kommt keine Antwort, es gibt nicht mal Pfiffe. Auf der Südtribüne sitzt keiner, weil sie auf Anweisung von Präsident Corny Littmann in der Winterpause abgerissen wurde. Mit ihrer Art von Galgenhumor haben die Fans des Hamburger Kiezklubs schon so manche Krise überstanden.

Jetzt könnte Selbstironie wieder einmal zum Überlebenselexier auf St. Pauli werden – denn der Verein ist seinen Retter los. Littmann, der den Regionalligisten 2003 mit der legendären Retter-Kampagne aus den Miesen holte, wurde vom Aufsichtsrat entmachtet. Zu chaotisch, planlos und riskant soll er die Geschäfte geführt haben, vor allem bei der Finanzierung des neuen Stadions, das am Millerntor gebaut werden soll. Littmann soll zu voreilig mit dem Abriss begonnen haben, ohne zu wissen, ob die neuen Geldgeber wirklich zahlen, ob alle Verträge rechtlich abgesichert und die Baugenehmigungen sicher sind. Gut möglich, dass es der Chef des Varieté-Theaters „Schmidt’s Tivoli“ nicht ganz so genau genommen hat. Doch mit seiner „Augen-zu-und-durch“- Methode hat es Littmann in der jahrelangen Stadiondebatte immerhin so weit gebracht wie vor ihm kein anderer Präsident. Vielleicht war das ja sein Fehler.

Littmann hat – wenn auch auf chaotische Art – das Chaos um den Stadionbau bekämpft. Er wollte Fakten schaffen. Womöglich wäre der Klub mit einer neuen Südtribüne irgendwann in Normalität versunken. Und so etwas geht beim FC St. Pauli nun mal nicht. Das Schicksal des Vereins heißt eben Chaos.

Dagny Lüdemann