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Sport: Sie treten an

Auf Mallorca beginnt für Jan Ullrich und das Team T-Mobile die neue Saison – mit dem Ziel, die Tour de France zu gewinnen

Cala Serena. Es ist Samstagmorgen kurz nach zehn Uhr. Mallorca. Jan Ullrich, im langärmeligen Magenta-Trikot und langen schwarzen Beinkleidern, kommt als Letzter zum Fuhrpark am Robinson Club Cala Serena. Die 23 Mannschaftskollegen sind längst ausgeschwärmt. Jetzt macht sich auch der Star ohne Hektik und in aller Ruhe fürs Radfahren fertig. Ullrich versorgt sich mit Trinkflaschen und Essriegeln, testet kurz das neue, blitzblank geputzte Giant-Rad mit der neuen Shimano-Schaltung, dreht einige Kreise. Alles passt. Abfahrt auch für den Kapitän. Im zweiwöchigen Trainingslager des T-Mobile-Teams auf Mallorca ist der Anführer noch Nachzügler. Die Virusinfektion ist zwar auskuriert, aber Ullrich lässt es ganz locker angehen, fährt in keiner der drei Trainingsgruppen mit.

Das neue Jahr ist für Ullrich mal wieder ein neuer Anfang. Letztes Jahr um diese Zeit wussten nur die Götter, ob das Team Coast, für das Ullrich einen Vertrag unterschrieben hatte, tatsächlich jemals bei der Tour de France wird starten dürfen. Niemand wusste, ob Ullrich die Tour gut überstehen würde. Und dann feierte der Deutsche ein unglaubliches, ungewöhnliches Comeback, nicht bei Coast, sondern bei Bianchi. Er wurde Tour-Zweiter, aber er wurde vor allem wieder ernst genommen, auch weil er ernster geworden war. Und nun, 2004?

Ullrich fährt langsam los. Allein der lange Holländer Bram Schmitz, der andere Grippe-Patient im Team, und ein austrainierter Agentur-Fotograf – ohne Kamera auf dem Rennrad – begleiten Ullrich auf ebenen und schmalen Straßen. Das Trio radelt vorbei an Mandel- und Orangenbäumen und durch malerische Ortschaften wie Santanyi und Ses Salines im Südosten der Radfahrer-Insel. Es ist ein wunderschöner Tag. Vom Meer her weht eine leichte Brise. Die Sonne spendet milde 17 Grad. Das macht Laune. Vier Stunden ist Ullrich in gemütlichem Tempo unterwegs. Knapp 120 Kilometer zeigt der Tacho bei der Rückkehr im Robinson Club an.

Der Radstar und seine beiden Begleiter fahren kaum schneller als die vielen Rudel von Hobby-Radlern, die ihnen auf mallorquinischem Asphalt winkend begegnen. Kein Mannschaftswagen begleitet den T-Mobile-Star. Ullrich benötigt auch keine Straßenkarte zur Orientierung. Er kennt sich aus. Schon im Dezember, noch im mintgrünen Bianchi-Outfit, hat er hier trainiert. In dem Küstenort Sa Rapita verabschiedet sich nach anderthalb Stunden Bram Schmitz und kehrt um. Das Knie schmerzt. Jan Ullrich kennt das Problem. Der Fotograf radelt weiter an seiner Seite und ist ein guter Unterhalter.

Die Grippe, die den so früh wie nie begonnenen Trainingsaufbau störte, ihn ins Bett und zur verspäteten Anreise zwang, wird nicht weiter als Rückschlag für den Rückkehrer gewertet. „Wir haben Mitte Januar. Da muss man nicht nervös werden“, sagt Teamchef Walter Godefroot gelassen. Würde jetzt einer der Klassikerfahrer krank werden, „müssten wir uns Gedanken machen. Nicht bei Jan“. Die Unterbrechung dürfe nur nicht zu lange dauern. Der Arzt Dr. Andreas Schmid beruhigt denn auch: „Bezogen auf die Saison, hat die Erkrankung keine negative Auswirkung. Jan ist gesund und kann anfangen, das Training zu steigern.“ Ullrich selbst, ganz der Optimist, sagt: „Ich hoffe, ich bin jetzt für den Rest der Saison immun.“

Den ursprünglich für Anfang Februar bei der Mallorca-Rundfahrt ins Auge gefassten Saisonstart verschiebt der „Sportler des Jahres“, der für den Tagesspiegel-Jahresrückblick schrieb: „Ich musste wahrscheinlich meine Fehler machen, brauchte diese bitteren Erfahrungen, um jetzt anders zu denken. Ich bin reifer geworden. Ich erlebe jetzt alles bewusster, das Training, die Wettkämpfe, das Leben.“

Seine Tour der Leiden, der eigentliche Einstieg in die Saison, ist nun die Murcia-Rundfahrt (3. bis 7. März) in Spanien. Hier plant auch Lance Armstrong sein Saison-Debüt. Im Februar bezieht Jan Ullrich, der Tour-Sieger von 1997, dann sein privates Trainingslager für knapp drei Wochen in der Toskana, dort, wo er letztes Jahr das Fundament für sein Comeback mit dem zweiten Platz bei der Tour de France legte. Dann und dort wird sich auch sein persönlicher Berater Rudy Pevenage wieder intensiv um ihn kümmern. Der Belgier bleibt indes ein heikles Thema, weil er einst beim Weggang Ullrichs von Telekom sofort mitging, obwohl er Sportlicher Leiter war. Bis heute ist das Verhältnis zu Teammanager Godefroot angespannt. Immerhin wurde Pevenage zur heutigen offiziellen Präsentation des Teams T-Mobile auf die Balearen-Insel eingeladen. Godefroot jedenfalls lobt seinen aktuellen Sportdirektor Mario Kummer: „Der hat alles im Griff. Alles, was Mario vorgibt, wird umgesetzt."

Am längsten unterwegs, täglich bis zu sechseinhalb stramme Stunden auf über 200 Kilometern und schon am weitesten in Form, ist die Klassiker-Gruppe Erik Zabel mit Aldag, Klier, Schaffrath, Wesemann, Nardello und Iwanow. Die Truppe des Dauerbrenners hat schließlich einen frühen Saisonhöhepunkt: Mailand – San Remo am 20. März.

Der viermalige Sieger dieses Frühjahrsklassikers tut sich noch schwer, sich an den Plan zu gewöhnen, anschließend auf die Kopfsteinklassiker zu verzichten, in denen er nach Meinung der Trainer ohnehin nicht zu den Siegfahrern zähle, sondern nur entscheidende Substanz verliere. Für Zabel ist die Sache noch nicht endgültig: „Wenn ich Mailand - San Remo gewinne, bin ich es dem Weltpokaltrikot schuldig, dann bei der Flandern-Rundfahrt und bei Paris - Roubaix zu starten."

Die letztjährigen Problemfälle Santiago Botero, Cadel Evans und Savoldelli führen zusammen mit Alexander Winokurow die so genannte Ausländergruppe, die sich vor allem im Gebirge an der Westküste schon mächtig ins Zeug legt. „Diesen Eifer werte ich ganz positiv“, sagt Walter Godefroot hochzufrieden. Andreas Klöden führt die dritte Gruppe mit den Nachwuchsleuten. Nach der Präsentation am heutigen Montag wird Mario Kummer mit Jan Ullrich besprechen, ob er an den restlichen Tagen des gemeinsamen Trainings weiter alleine über die Insel radelt. Irgendwann – die Zeit drängt nicht – wird sich auch die Gruppe Jan Ullrich formieren. Für das Projekt Tour-Sieg 2004.

Hartmut Scherzer

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