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Der Mann in der Mitte. Torwart Martin Ziemer lässt sich von seinen Teamkollegen feiern.

© dpa

Sieg gegen Kiel: Die Füchse Berlin sorgten für einen dieser großen Abende

Die Berliner errangen nach Rückstand noch einen Sieg gegen den THW Kiel. Die Max-Schmeling-Halle erlebte "absoluten Wahnsinn".

Von Benjamin Apitius

Martin!!!! Martin!!!! Martin!!!! Die Stimme des Hallensprechers der Füchse Berlin überschlug sich am Donnerstagabend geradezu. Und der Großteil der 9000 Zuschauer in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle wusste natürlich sofort, was er ihm aus voller Kehle entgegen zu schmettern hatte: Ziemer!!!! Ziemer!!!! Ziemer!!!!

Eben jener Martin Ziemer hatte kurz zuvor – es lief die Schlusssekunde im Spitzenspiel der Handball-Bundesliga zwischen Berlin und dem THW Kiel – mit einer letzten Parade den 29:28-Sieg der Gastgeber bewahrt. Selbst über ein Unentschieden gegen den Rekordmeister hätte sich im Vorhinein auf Seiten der Füchse wohl keiner beklagt, dass es nun aber zum überhaupt erst zweiten Erfolg gegen Kiel reichte, hatte sich für alle Beteiligten anfühlen müssen wie die schiere Sensation.

Mit der Schlusssirene entlud sich dann die kollektive Fassungslosigkeit und ein ohrenbetäubender Jubelschrei erschütterte die Halle. Die Spieler von Berlins Auswechselbank rannten wie von Sinnen zu ihrem Torhüter, umringten ihn, schubsten ihn, drückten ihn, würgten ihn. Ziemer!!!! Ziemer!!!! Ziemer!!!! Der stand da mit erröteten Wangen und ziemlich feuchten Augen.

„Es ist ein absoluter Wahnsinn“, sagte Ziemer

„Es ist ein absoluter Wahnsinn, dass wir dieses Spiel noch gewinnen konnten“, sagte der 36-Jährige, nachdem er den wilden Ansturm seiner Mitspieler einigermaßen unbeschadet überstanden hatte: „Wir sind unendlich froh.“

Es war an diesem Abend keine taktische Meisterleistung von Füchse-Trainer Velimir Petkovic gewesen, die diese dicke Überraschung möglich gemacht hatte. Es war vielmehr der Rausch des Moments gewesen, der die große Wende in diesem Spiel herbeigeführt hatte. Nach den umkämpften 60 Minuten spiegelten sich in den Augen der Spieler die Gesichter der begeisterten Zuschauer. Sie waren einmal mehr mit der Ursehnsucht eines jeden Sportfans gekommen, der Sehnsucht nach etwas Großem, nach etwas Beispiellosen, etwas Wundersamen. In einer langen Saison erleben sie mit ihrer Mannschaft den x-ten Pflichtsieg, den x-ten Arbeitssieg, ein mal mehr und mal weniger unterhaltsames Unentschieden, sehen ihre Mannschaft mitunter verlieren, überraschend, enttäuschend, verdient, meistens in der öden Wiederholungsschleife des alles schon einmal Erlebten. Und dann steht für sie plötzlich ein solcher Donnerstagabend bereit. Ziemer!!!! Ziemer!!!! Ziemer!!!! Elektrisiert, aufgeladen, berauscht gingen sie alle nach Hause und fanden wohl schwer in den Schlaf.

Fünf Tore Rückstand zur Pause! Gefühlt noch nie gegen den THW gewonnen! Zudem fehlten von Beginn an die beiden verletzten Stammtorhüter und der Abwehrchef! Man hätte den Füchsen bei dieser Aufgabenstellung einen gewissen Fatalismus gut und gerne verzeihen können. Die Spieler aber kamen aus der Kabine und betraten das Feld mit wehenden Fahnen. Untergehen? Abwarten.

Hart umkämpft. Der Berliner Fabian Wiede (M) arbeitet sich durch die Kieler Abwehr aus Magnus Landin (l) und Patrick Wiencek.
Hart umkämpft. Der Berliner Fabian Wiede (M) arbeitet sich durch die Kieler Abwehr aus Magnus Landin (l) und Patrick Wiencek.

© dpa

13:17, 14:17, 15:17, 15:18. Dann ein hartes Einsteigen von Mijajlo Marsenic gegen Kiels Spielmacher Miha Zarabec. Auf der anderen Seite war ein Kieler Spieler bei einer ähnlichen Aktion gegen Berlins Fabian Wiede ungestraft davon gekommen. Nun aber zückte das Schiedsrichtergespann die Rote Karte und brachte die Halle gegen sich auf. Die Missgunst der Füchse-Fans richtete sich fortan zudem gegen den bis dahin überragenden Zarabec. Mit jedem seiner Ballkontakte entfachte er ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert – das sich zum schrillen Störgeräusch im Spiel der Kieler entwickelte.

Die Füchse bleiben zwei Minuspunkte hinter Flensburg

16:18, 17:18, 17:19, 17:20. Berlins Spieler rannten immer ungestümer an und ihre wehenden Fahnen begannen die Kieler allmählich zu nerven. An ihrem herausragenden Spielgestalter Jacob Holm zog sich die Mannschaft der Füchse nun hoch, die Entschlossenheit des unermüdlichen Paul Drux übertrug sich in alle Köpfe, die reflexhaften Paraden von Ziemer zuckten durch alle Körper. Das Spiel konnte jetzt tatsächlich kippen. Aber tat es das wirklich?

Es war Hans Lindberg, der nach 48 Minuten zum 23:23 traf. Es war Holm, der nach 51 Minuten zur ersten Führung traf und nach einer Parade von Ziemer gleich noch auf 26:24 erhöhte. Es waren diese zwei Hiebe, von denen sich der THW nicht mehr erholen sollte.

Der Funke war längst auf das Publikum übergesprungen und setzte mit Ziemers letzter Parade die ganze Halle in Brand. An schlafen war jetzt noch lange nicht zu denken. Träumen konnten die Fans aber schon. Zwei Minuspunkte auf Tabellenführer Flensburg? Ach wenn dieser Abend doch ewig andauern könnte.

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