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Sport: Silberner Sieg

Platz zwei gewonnen statt Gold verloren: Antje Buschschulte studiert viel und trainiert wenig – umso mehr freut sie sich über ihre Medaillen

Am Ende musste sich Antje Buschschulte noch einmal ganz lang machen. Ein letzter Armzug, noch ein Stückchen gleiten, der Anschlag. Dann kam für die 1,86 Meter große Rückenschwimmerin der spannendste Moment dieses WM-Rennens über 100 Meter: Hat es für eine Medaille gereicht? Es hat. „Ich bin total glücklich “, sagte sie, nachdem sie aus dem Freiluftbecken von Montreal gestiegen war. Der 26 Jahre alten Titelverteidigerin war nach dem Blick auf die Anzeigetafel sofort klar geworden, dass sie Silber gewonnen und nicht Gold verloren hatte.

Die Medaille hat Antje Buschschulte in einem packenden Rennen erkämpft. Die US-amerikanische Weltrekordlerin Natalie Coughlin hatte auf der Bahn neben ihr enorm schnell losgelegt und lag bei 50 Metern noch fast sechs Zehntelsekunden vor der Magdeburgerin. Dann kam die Wende. „Die zweiten 50 Meter habe ich nur noch gebissen“, sagte Antje Buschschulte. Und dann schlug sie in 1:00,84 Minuten vor der US-Amerikanerin an. Die gewann Bronze (1:00,88). Gold sicherte sich Kirsty Coventry aus Simbabwe in 1:00,24 Minuten.

Buschschultes Kampfgeist war das eine. Das Wetter das andere. Der Himmel über Montreal war in diesem Moment grau und wolkenverhangen. Die Sonne war verschwunden, das war entscheidend. Für Rückenschwimmer ist das aus zwei Gründen wichtig: Sie müssen nicht in die Sonne blicken, sie werden nicht geblendet und können deshalb die Markierungsfähnchen besser sehen, die ihnen anzeigen, wie weit sie noch vom Beckenrand entfernt sind. Und zweitens ist das Wasser nicht so aufgeheizt, wenn die Temperaturen annehmbar sind. Schwimmer sind hochempfindlich bei der Wassertemperatur. Sie registrieren jede Abweichung von der Optimaltemperatur. Im Fachjargon: Sie können das Wasser nicht mehr richtig greifen.

Für Buschschulte war an diesem Tag Gold nicht drin. Um die Siegerzeit zu unterbieten, hätte die Magdeburgerin schon ihren Deutschen Rekord (1:00,33) verbessern müssen. Was in Montreal aber schlicht unmöglich war. „Sie hat vor der WM fünfzig Prozent weniger gemacht als vor Athen“, sagte Buschschultes Trainer Bernd Henneberg, der vor lauter Rührung ein wenig ins Stottern kam. Bei den Olympischen Spielen war Buschschulte auf der gleichen Strecke Sechste geworden, hatte aber über 200 Meter Rücken Bronze geholt. Dann hatte sich Buschschulte auf ihr Studium der Neurobiologie konzentriert. „Es war kompliziert, alles in die Reihe zu bringen“, sagte Henneberg. Aber die 26-Jährige arbeitete trotzdem noch so intensiv wie möglich. „Beim Trainingslager in Sardinien gehörte ich immer zu denen, die bis zum Schluss im Becken waren“, sagte sie. Da klingt leise Kritik an der Einstellung ihrer Teamkollegen durch.

Völlig unberechtigt scheint diese Kritik nicht zu sein. Ein paar der jungen Schwimmer im Team, die noch bei den deutschen Meisterschaften mit guten Leistungen aufgefallen waren, blieben diesmal eher blass. Der 20-jährige Marco di Carli zum Beispiel schied über 100 Meter Rücken mit einer mäßigen Zeit schon im Vorlauf aus (siehe auch nebenstehenden Text). Der junge Paul Biedermann kam ebenfalls nicht an seine Bestleistungen heran. „Manche haben vormittags Probleme, in den Bereich ihrer Bestzeit zu schwimmen“, sagte DSV- Sportdirektor Ralf Beckmann.

Antje Buschschulte hat dieses Problem schon längst nicht mehr. Mit dieser und der Silbermedaille mit der 4 x 100-Meter-Staffel hat sie ihre Erfolgsbilanz auf 49 internationale Medaillen geschraubt, seit 1995 war sie bei allen internationalen Topwettkämpfen dabei. „Sie spielt eine hervorragende Rolle in unserem Team“, sagte Beckmann. Als er gesehen hatte, dass sich Wolken am Himmel sammelten, begann er an die Medaille zu glauben. „Hat eigentlich nur noch der Regen gefehlt“, sagte Beckmann. Das hätte Antje Buschschulte aber möglicherweise als etwas zu viel des Guten empfunden. Grauer Himmel, keine blendende Sonne, das war schon in Ordnung so.

Jürgen Roos[Montreal]

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