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NACHSPIEL Zeit: Sonnengeflecht und Fransenlederjacke

Esther Kogelboom wundert sich, wen ihr das Schicksal so alles als Sitznachbarn zulost

Diese Zeilen schreibe ich an Bord eines Flugzeugs der Linie Kulula auf dem Weg von Kapstadt nach Johannesburg. Meine Laune ist nur mittelmäßig, weil mir der Autovermieter eine Radkappe in Rechnung gestellt hat, obwohl sich darauf nur ein Kratzer befindet, der für das menschliche Auge im Prinzip unsichtbar ist. Der Kia Picanto ohne Servolenkung, den sie mir gegeben hatten, war sowieso eine Frechheit, mit meinem alten Kettcar wäre ich schneller und sicherer gewesen. Der Supervisor der Autovermietung wusste aber nicht, was ein Kettcar ist. „Mevrouw Kochelbuomm“, sagte er. „Ek is jammer.“ Es tue ihm leid. Einparken sei eben eine Kunst, das konnte er sich nicht verkneifen.

Neben mir, auf 42A, sitzt eine Frau, die von extremer Flugangst geplagt wird. Sie putzt seit 30 Minuten ihre Brille, versucht tief in ihr Sonnengeflecht zu atmen und hat beim Start geweint. Zudem wippt sie permanent mit den Füßen. Es ist schon interessant, wen das Leben einem als Sitznachbarn zulost. Ich muss jetzt etwas ausholen.

Über verschlungene Wege bin ich nämlich endlich zu einer Eintrittskarte für ein echtes WM-Spiel gekommen. Ein Freund hatte sich bei einem Stadionbesuch schlimm erkältet, und so überreichte er mir sein Ticket. Ich würde Kamerun gegen Holland zusammen mit seinem 16-jährigen Sohn sehen, und so wurden wir von der orangefarbenen Sturmflut Richtung Stadion gespült. Kurz vor den Sicherheitskontrollen betrachtete der Sohn hochinteressiert den Schwarzmarkt: Leute streckten entweder einen Finger in die Luft oder machten den Ackermann – sie wollten entweder ein oder zwei Tickets kaufen.

Ich beobachtete, wie das Gehirn des Sohnes ratterte. Er dachte: „Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine ist, den Abend mit einem runzligen Großmütterchen zu verbringen, das ganz sicher zu feige sind wird, mir ein Bier zu kaufen. Die andere ist: Ich verticke meine Karte zum fünffachen Preis und bin reich.“

Ich weiß, wofür ich mich an seiner Stelle entschieden hätte. Ich hätte selbstverständlich den Abend mit mir verbracht, schon allein wegen der unterhaltsamen Gesellschaft. Darüber hinaus ist WM, da MUSS man jedes Spiel sehen, schon aus Respekt vor den vielen Fans, die keine Tickets haben. Doch der Ruf des Geldes, er war lauter. Der Sohn verabschiedete sich singend und tanzend, mit den Taschen voller Geld. Ich verdrängte die Sorge, wie er wohl nach Hause kommen würde.

Ohne Begleitung im Stadion zu sitzen, ist für mich persönlich nicht so ein richtiges Vergnügen. Die Plastikschale links neben mir war leer, wahrscheinlich war der Ex-Millionär, der dem Sohn die Karte abgekauft hatte, woanders untergekommen. Ich schrieb allen, die ich kannte, Kurznachrichten („Bin im Stadion! Könnt Ihr mich sehen, ganz oben hinter dem Tor!“), aber niemand antwortete. Dafür kam ich mit meinem Nachbarn rechts ins Gespräch. Es war ein schwarzer alter Mann, Elias, der eine Fransenlederjacke trug. Er saß neben seinem besten Freund, Steve, einem weißen alten Mann, der ebenfalls eine Fransenlederjacke trug. Sie erzählten, dass sie sich seit den 50er Jahren kennen und nie aus den Augen verloren haben. Elias hatte eine Zeit lang für Steve gearbeitet, so hatten sie sich kennengelernt. Jetzt seien sie hier, um die WM zu feiern, ihr Land und ihre lange Freundschaft.

Als Steve Bier holen ging, sagte Elias: „Wir haben so viele Tragödien zusammen überstanden. Steve hat eines seiner Kinder bei den Anschlägen vom 11. September 2001 verloren. Das Wichtigste ist, dass man einen Freund hat.“ Er schaute auf den leeren Platz neben mir.

Noch zehn Minuten bis zur Landung. Ich muss mich jetzt um die arme Frau neben mir kümmern, sie weint schon wieder.

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