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Der ruhige, Ginaluigi Buffon (l.) , und der Herumüpfer, Joe Hart.
© AFP

Der Körperleser: Stoiker und Hampelmänner - die Körpersprache der Torhüter

Der ist in sich gekehrt, der andere hopst wild herum. Was sagt die Körpersprache der Torhüter beim Elfmeterschießen aus? Unser Experte hat bei Gianluigi Buffon und Joe Hart genau hingeschaut - und auch Manuel Neuer beobachtet.

Er ist schon besonders. Er ist still. Er produziert sich nicht wie sein Kontrahent auf der anderen Seite des Spielfelds. Ganz überraschend verlässt er nach dem Abpfiff der zweiten Halbzeit das Spielfeld. Das Staunen des Kommentators im Fernsehen spiegelt die Unerfahrenheit im Umgang mit den besonderen persönlichen Eigenschaften des italienischen Torwarts. Auch wenn dieser jedem durch die viermalige Wahl zum Welttorhüter des Jahres als Gigi der Große vertraut zu sein scheint.

Bevor die Spekulationen über das unerwartete Verhalten dem zuschauenden Publikum vollends präsentiert waren, taucht er auch schon wieder auf. Er hatte entgegen der Vermutung keinen geheimen Zettel dabei, sowie es vor sechs Jahren bei Lehmann der Fall war. Sekunden später steht er neben seinem Kontrahenten und knobelt zusammen mit den Schiedsrichtern das weitere Prozedere aus. Dabei, ebenso still wie sonst, dreht er mit Zeigefinger und Daumen sein lockiges Haupthaar. Kinder tun dies, vor allem kleine Mädchen genießen das Haare drehen und scheinen ein wenig der sie umgebenden Welt entrückt zu sein.

Natürlich ist Buffon kein kleines Mädchen und doch weckt der Stress der besonderen Situation vor dem entscheidenden Elfmeterschießen alte Verhaltensmuster. Haare zu drehen ist für Kinder eine wichtige Selbst-Berührung. Eine Berührung, die beruhigt, die den Kontakt zu sich selbst fördert und die Bewusstheit für die inneren Prozesse, das eigene Erleben verstärkt. Eine Berührung, die der inneren Sammlung dient. Und eine Berührung, die in eine souveräne Gelassenheit dem Kontrahenten gegenüber mündet.

Kindern dient dies oft dazu, den Übergangsraum zwischen Tag und Nacht, zwischen wach sein und schlafen, zwischen Spiel und Stress zu überbrücken. Für Buffon scheint dies ein Mittel der Stressreduktion zu sein. Etwas das diesen Goalkeeper so auszeichnet. Er ist still. Er ist unspektakulär. Er ist präsent. Er ruht in sich selbst und macht daher einen erstaunlich guten Job.

Alle Artikel unseres Körpersprache-Experten Ulrich Sollmann finden Sie hier.

Ganz im Unterschied zu seinem englischen Kontrahenten Hart. Dieser, erinnert man sich an die Bilder vom vergangenen Sonntag, turnt in seinem Tor herum, als würde er, den Blick ständig auf den Spieler gerichtet, der gleich zum Schuss antritt, mit einem subtilen Voodoo-Zauber belegen. In der angekündigten Hoffnung, dass es diesmal klappen würde. Er hätte sich doch lange genug vorbreitet. Dabei hopst er hoch, duckt sich, stützt die Hände auf seine Knie, um sich dann gleich wieder hin und her wiegend für einen neuen Sprung vorzubereiten. Er blickt den Spieler so an, als würde er diesen sogleich mir seinen Blicken hypnotisieren wollen.

Die Bilder zum Elfmeterschießen und zum Spiel England gegen Italien:

Ganz im unerschütterlichen Glauben, dass es ja diesmal funktionieren wird. Er habe sich ja schließlich lange genug vorbereitet. Und ganz getragen von der medialen Zuschreibung, er hätte das Zeug dazu, die nächsten 20 Jahre im englischen Tor zu stehen.

Die beiden sind so unterschiedlich wie man nur unterschiedlich sein kann. Während Buffon, nachdem die Münze gefallen ist, sich durch Berührung, kurzen Körperkontakt, mit einzelnen Spielern in der Beziehung und im Gemeinsamkeitsgefühl erdet, tänzelt Hart, ohne sich in einem solchen Kontakt zu erden, den Blick leicht nervös umherschweifend, zum Ort des Geschehens, dem Tor.

Buffons Verhaltensmuster unter extremem Stress ist der Bezug zu sich selbst und die hiermit verbundene Ruhe in sich selbst. Dies wird gestärkt durch die klare Erdung in der Beziehung zu den anderen in der Mannschaft. Sein Blick ist in den entscheidenden Momenten klar, direkt und bohrend. Nur seine Hände signalisieren die erwartete Aufregung.

Hart hingegen bleibt auf die anderen, sein Gegenüber bezogen. Die körperliche Aktivität, sein Hopsen, das Hochreißen der Arme und Hände nach dem 2:1 dienen dazu den Voodoo Zauber auszudrücken, sind aber zugleich auch Ausdruck seiner nicht zu übersehenden Nervosität. Er ist nicht genügend in seinem eigenen Körper geerdet. Hart scheint zudem weniger im Tor geerdet zu sein. Aber das Tor ist sein Ort. Er gehört dorthin.

Buffon trifft heute Abend auf den deutschen Torhüter Neuer. Es wird gesagt, dass Buffon Neuer für den derzeit besten Torhüter der Welt hält. Und man erinnert gleichzeitig an Neuers tiefe Bewunderung für Buffon. Buffon trifft auf einen Torhüter, der auch bei extremem Schuss den Ball festhalten kann. Er ist sicher am und mit dem Ball. Nicht nur in der Abwehr des Balles. Neuer liebt den Ball.

Er ist aber auch der, der nicht nur sein Tor beherrscht sondern auch den Raum um das Tor herum. Neuer kämpft und greift aktiv in das Geschehen in diesem Raum ein. Er setzt seinen Körper ein und scheint sich selbst dabei zu riskieren. Ohne im Risiko zu scheitern.

Während Buffon in sich selbst und seiner Mannschaft geerdet ist, ist Neuer in sich und im Spiel geerdet. Im gemeinsamen Spiel, auch zusammen mit dem so bewunderten Buffon.

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