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Toni Kroos feiert sein Tor zum deutschen 2:1 gegen Schweden.

© AFP / Nelson Almeida

Das 2:1 gegen Schweden: Toni Kroos – die Sekunde eines großen Spielers

Das Tor in der 95. Minute, man könnte es sich immer wieder ansehen. Toni Kroos hat mit seinem Freistoß am Samstagabend den Fußball zur Poesie erhoben.

Man könnte sich diese Szene hundert Mal anschauen. Sie bliebe so schön, so frisch – ja fast unsterblich. Es läuft die Nachspielzeit gegen Schweden, als Deutschland noch einen Freistoß zugesprochen bekommt. Auf der linken Angriffsseite, fast auf der Strafraumlinie. Für einen Schuss ist der Winkel eigentlich zu spitz, fast wie bei einer Ecke. Vielleicht eine Flanke für einen Kopfballtreffer. Toni Kroos hat bei der WM vor vier Jahren vier Tore vorbereitet.

Kroos rinnt der Schweiß an den Schläfen herunter, es steht 1:1, zu wenig zum Überleben für den Weltmeister. Er blickt in die Meute, die sich vor dem Tor versammelt hat, darunter alle elf schwedischen Spieler. Die Meute rangelt um gute Plätze, sie schaut gebannt zu ihm. Kroos läuft an, tippt den Ball einen Meter weiter zu Marco Reus, der tritt auf den Ball, dann zieht Kroos ab. Der Rest ist Jubel.

In der Wiederholung sieht man Reus, wie er dem Bogen des Balles noch hinterherschaut, die Arme hochreißt und wie besessen abdreht. Ein wenig erinnert sein Jubellauf an den André Schürrles im WM-Finale 2014, nachdem Mario Götze seine Hereingabe zum Siegtor verwertet hatte. Ein bisschen fühlt sich dieses Tor zum 2:1-Sieg in letzter Sekunde auch so an. Es gibt dafür keinen Titel, aber immerhin die Hoffnung darauf zurück.

Die Reservespieler und Betreuer schwärmen von der Bank aus und auf Kroos zu. Als die Traube ihn entlässt, rammt noch Mario Gomez seinen Kopf vor Kroos’ Brustkorb, wie einst Zidane im WM-Endspiel 2006 dem Italiener Materazzi. Doch hier geschieht es nicht aus Wut, sondern aus Bewunderung.

Was für ein Tor! Ein Traum von einem Tor, eines, das den Traum der Deutschen wiederbelebt hat. Den Traum von der erfolgreichen Titelverteidigung. Oder wie die spanische Zeitung „AS“ schreibt: „Ein Land atmet dank ihm weiter.“

Der Schuss selbst war ein Gedicht, wie das Gesicht von Kroos danach großes Theater. Selbst einem mimischen Stoiker wie ihm waren die Züge entglitten. Seine Augen sangen von Schmerz und besiegter Angst und der grundgütigen Freude, dem drohenden Versagen entkommen zu sein. „Eine göttliche Szene von Toni Kroos“, wie die „Marca“ schreiben wird.

Kroos' Einsatz war nach der Mexiko-Niederlage umstritten

Kroos wollte dieses Tor genauso, wie er es machte. Es war keine verhinderte Flanke, kein Glückstreffer. Spieler mit seiner Schlagtechnik brauchen keine Sonntagsschüsse. Große Spieler schießen solche Tore in wichtigen Momenten. Wer weiß, wie weit dieses Tor die Deutschen durch das Turnier trägt?

In der Krisensitzung nach der Mexiko-Niederlage soll es auch um seine Rolle gegangen sein. Kroos kam im Auftaktspiel nicht zur Geltung, weil er „einen mexikanischen Kettenhund“ hatte, wie es Thomas Müller genannt hat. Die Meinungen waren auseinandergegangen. Hätte sich Kroos besser dieser Privatbewachung entziehen können? Hätte er von den Verteidigern besser angespielt werden müssen, oder hätten die Offensivspieler sich nicht besser freilaufen und anbieten sollen für seine Pässe? Was alle einte, war die Ansicht, wonach Kroos nicht Teil des Problems ist, sondern deren Lösung.

So ist vielleicht auch die erste Reaktion von Kroos nach seinem Siegtor zu verstehen. Während viele andere Spieler in einem solchen Moment sich als Held hätten feiern lassen, moserte der 28-Jährige. „Wir wurden viel kritisiert, teilweise zu Recht“, sagte Kroos ins TV-Mikrofon. Wer sich da heutzutage alles zu Wort melde und was geschrieben werde. Später, in der Mixed-Zone, führte er aus: „Bei mir kommt da ein Gefühl rüber – und ich spreche jetzt nicht von den Fans, die auf die Fanmeile gehen –, dass es mehr Spaß macht, schlecht über uns zu schreiben, zu reden oder zu analysieren als anders herum.“ Wenn das Gefühl falsch sei, „tut es mir leid, aber ich habe es ganz klar in den letzten Tagen gehabt“.

Kroos übernahm in der allerletzten Minute die Verantwortung

Gegen Schweden musste die deutsche Elf ein paar Schreckmomente wie gegen Mexiko durchleben. Sie war dicht davor unterzugehen, oder wie es Timo Werner sagte: „Nach dem 0:1 waren wir praktisch ausgeschieden.“ In diesem Spiel durchlebte auch Kroos das komplette Programm. Er kam schwer ins Spiel, leitete mit einem seiner seltenen Abspielfehler die Führung der Schweden ein, kam dann in der zweiten Halbzeit gestärkt zurück und drehte in der Nachspielzeit das Spiel.

„Natürlich geht das erste Tor auf meine Kappe“, sagte Kroos. „Wenn du 400 Pässe spielst, kommen auch zwei dann mal nicht an. Du musst dann aber die Eier haben und so eine zweite Halbzeit spielen, aber das haben dann schon wieder die wenigsten gesehen.“

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Selbst anno 2018 muss Kroos gegen den Vorwurf anspielen, ein Schönspieler zu sein, der sich in den wichtigen Spielen nicht zeigt. In der zweiten Hälfte aber führte gerade er das deutsche Team an, hinterher standen für ihn 144 Ballkontakte, 89 Prozent gewonnene Zweikämpfe und eine Passquote von 93 Prozent. Vor allem aber übernahm Kroos in der allerletzten Minute die Verantwortung. Eigentlich wollte Reus erst schießen, doch dessen Vorhaben überzeugte Kroos nicht, wie er hinterher erzählte. Also machte er es, als es darauf ankam.

„Es wird uns niemand zum Titel schreiben, das muss aus uns selbst kommen“, sagte Toni Kroos noch in der Nacht von Sotschi. „Wir wissen, dass wir viele Fans hinter uns haben, den Rest müssen wir selbst machen.“

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