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Live aus dem ELFENBEINTURM: Unterwegs nach Jogi-Land

Weshalb der Bundestrainer die Ikone einer schwarz-grünen Republik sein wird

Ich gebe es zu, am Anfang war ich skeptisch, mehr noch, gefangen in Zynismus. Das konnte nicht lange gut gehen. Mir fehlte wohl der Mut, Hoffnung zu wagen. Nun bin ich bereit, mich offen zu dem großen, wegweisenden Versprechen zu bekennen, das Bundestrainer Jogi Löw repräsentiert. Nicht nur für den deutschen Fußball, sondern für die Zukunft unseres Landes. Denn Jogi Löw als Typus zu beschreiben, das kann im Frühling des Jahres 2008 nichts anderes bedeuten, als das Sehnsuchtsprofil einer schwarz-grünen Republik auf den Begriff zu bringen.

Beginnen wir mit dem Thema Heimat. Jogi liebt sein Land aus vollem Herzen. Als selbstbewusster Dialektsprecher steht er für ein unbedingtes Bekenntnis zu den Werten der deutschen Provinz, deren einzigartige Reize wiederum nirgendwo augenfälliger sind als in der ebenso weltoffenen wie traditionsbewussten Universitätsstadt Freiburg. Wie es die Geschichte will, ist Jogis sportliche wie mentale Heimat ja tatsächlich auch der politische Ursprungsort der schwarz-grünen Bewegung. Der neue deutsche Jogi-Patriotismus ist also provinzbasiert, aber deshalb noch lange nicht provinziell. Denn die Sehnsucht der global agierenden Existenz nach der naturnahen Authentizität der Schwarzwaldhütte paart sich in der Gestalt des vielreisenden Jogi auf besonders einleuchtende Weise mit einem affirmativen Verhältnis zur Hochtechnologie – insbesondere zu einer lustvollen Digitalisierung des eigenen Daseins.

Als absolut wegweisend muss auch Jogis Einstellung zum Thema Ernährung bezeichnet werden. Mit asketisch schlankem Lächeln wirbt der Bundestrainer derzeit für die Bioprodukte einer Großmarktkette und bürgt damit für die Einsicht, dass zwischen nachhaltiger Öko-Wirtschaft und industrieller Massenproduktion kein Widerspruch bestehen muss. Sogar das Rauchen hat er sich erfolgreich abgewöhnt. Darauf eine Bionade!

Womit wir beim Themenfeld Kleidung und Alltagsdesign wären – ohne Zweifel eine der besonderen Stärken unseres Helden. Wie jeder stilsichere Mensch schwört auch der Jogi auf schwarze Rollkragenpullover. Allerdings steht dieses Kleidungsstück bei ihm nicht mehr für nörgelnden Existentialismus, sondern wird in Verbindung mit dem besonders eng geschnittenen Jogi-Sakko zum trendfähigen Symbol einer wissensbasierten Gelassenheit. Mit smartem Kurzhaarschnitt und dem mittlerweile zum Markenkern gehörenden – wahlweise safranen oder grünen – Wollschälchen setzt der passionierte Bonbonlutscher ein Muster zukunftsfroher Coolness. Designtechnisch gesehen ist Jogi der Apple unter den deutschen Spitzentrainern.

Weswegen er, wenn ich es richtig sehe, auch als Geschlechtswesen Männlein und Weiblein in gleicher Weise anzusprechen weiß. Im Post-Gender-Stadium, das Jogis androgyner Schick beispielhaft verkörpert, ist Fußball nicht länger die Freizeitdomäne unausgelasteter Jungmänner, sondern steht im lebenslangen Selbstfindungsprozess sämtlichen Geschlechtern und Präferenzen offen.

Das bringt natürlich auch ein neues Verständnis von Macht und Führungsstil mit sich. Jogi ist kein Testosterontrainer. Anders als der gewaltbereite Unternehmensberater-Slang Klinsmannscher Kabinenansprachen eint und puscht er sein Team mit der sanften Bestimmtheit des besseren Arguments. Klug kommunizierte Einsichten ersetzen ultimative Machtworte. Wie die Kanzlerin seiner Ära glaubt auch der Jogi an Soft-Power.

Als früherer Assistenz-Trainer symbolisiert er das Versprechen flacher Hierarchien und wahrer Chancengleichheit. Im Jogi-Land zahlt sich ehrliche Arbeit aus, wenn er oder sie nur ausreichend Talent, Beharrlichkeit und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen mitbringen. An die Stelle des schwäbischen „Schaffe, Schaffe!“ tritt so ein befreites „Yes, we can!“. Und nicht zuletzt kommt in der Gestalt des Jogi ein 25 Jahre währender sozialer Prozess zum Abschluss, den wir als freundliche Übernahme des Spitzenfußballs durch die hochschulreife Mittelschicht bezeichnen können – sozusagen die erfolgreiche Gentrifizierung des DFB. Wir sehen deshalb schon heute vor unserem inneren Auge, wie Jogi Löw – an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel und dem neuen grünen Außenminister Cem Özdemir – im Jahre 2010 aus Nelson Mandelas Händen bescheiden strahlend den Weltpokal entgegennimmt.

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